Aus Anlass des 150. Geburtstags von Henry van de Velde am 3. April 2013 würdigen Sachsen und Thüringen die Künstlerpersönlichkeit mit Veranstaltungen und Schauen.
In Berlin öffneten sich dem belgischen Architekten und Produktdesigner die Türen. „Ein Gefühl von Unruhe und mangelnder Befriedigung beherrschte uns um 1890 so allgemein“, schrieb Henry van de Velde in seinen „Kunstgewerblichen Laienpredigten“, die 1902 auf Deutsch erschienen. Wie viele seiner Zeitgenossen hatte er das unbestimmte Gefühlt: Etwas musste anders werden in der Kunst und im Leben. Der gebürtige Flame bricht seine Karriere als Maler ab und wendet sich dem Design zu. Letzteres war näher an der Lebenswirklichkeit, und darauf kam es ihm an. Großen Einfluss auf van de Velde nimmt die englische Arts and Crafts-Bewegung eines John Ruskin und William Morris. Der junge belgische Künstler verschreibt sich dem qualitativ hochwertigen Kunsthandwerk und der Architektur. Während seine Gemälde weitgehend unbekannt sind, ist seine „Gebrauchs“-Kunst noch heute von bestechender Frische und Gültigkeit.
Abgeleitet aus der Natur wird für van de Velde die schlichte Linie zum Gestaltungsmittel. „Die Linie ist eine Kraft, die ihre Natur nicht verleugnen, ihrem Schicksal nicht entgehen wird“, schreibt er in einem Essay.
Natur, das heißt für ihn nicht Naturalismus. Anders als der eher florale Jugendstil eines Otto Eckmann wirken die Schöpfungen van de Veldes eher reduziert und zurückgenommen.
Sie bergen bereits den Bauhaus-Gedanken „form follows function“ in sich. „Das Ornament verschmilzt mit der Konstruktion“, beschreibt Claudia Kanowski vom Berliner Bröhan-Museum die Besonderheit van de Veldes. Dabei ginge es ihm darum, den Raum als ganzen zu denken. Wie ein in sich schlüssiger Organismus soll er atmen können. Nichts ist van de Velde und seinen Gesinnungsgenossen verhasster als ein Sammelsurium historisierender Einzelgegenstände und -möbel. Berlin sollte für den aufstrebenden Künstler zu einem Meilenstein werden. Anders als in den Metropolen Westeuropas war die deutsche Hauptstadt gerade in der Zeit um 1900 ein Schmelztiegel neuer Ideen und Kunstrichtungen. Hier war man offener als anderswo. Henry van de Velde ist des Lobes voll. In seinen Lebenserinnerungen schreibt er: „Ich ließ mich in dem Augenblick in Berlin nieder, als eine Welle der Begeisterung und Aktivität die geistig und künstlerisch Interessierten erfaßt hatte, für die jede neu auftretende Erscheinung ein Erlebnis bedeutete. In keinem anderen Land Europas war in die Vorherrschaft der offiziellen Kunst eine derartig große Bresche geschlagen worden wie in Deutschland.“ Auf Vermittlung gerade des Kunsthistorikers und Industriellen Eberhard von Bodenhausen war die deutsche Kundschaft in einem solchen Maß gewachsen, dass van de Velde 1899 eine Dependance seines Brüsseler Betriebes in Berlin eröffnete. Ein Jahr darauf wurden die Brüsseler Werkstätten ganz geschlossen, und van de Velde wurde ein Berliner. Hier stattete er vor allem Wohnungen und Ladengeschäfte aus. Bekannte Berliner Beispiele sind unter anderen die Kunsthandlung Cassirer, der Friseursalon Haby und das Geschäft der Continental Havana Company. In der aufblühenden deutschen Hauptstadt festigte sich insbesondere auch seine Freundschaft zu Harry Graf Kessler, dessen Wohnung in der Köthener Straße zu einem Mittelpunkt der Geselligkeit avancierte. Überflüssig zu erwähnen, dass natürlich Henry van de Velde sie eingerichtet hatte.
Graf Kessler war es schließlich auch, der Henry van de Velde 1902 als künstlerischen Berater für Industrie und Kunsthandwerk nach Weimar holen ließ. In der thüringischen Residenzstadt konnte sich van de Velde als Lehrer und Architekt schließlich zu einer ästhetischen Autorität weiter entwickeln. Jetzt entstanden viele seiner wichtigsten Bauten. Van de Velde sorgte mit für den Durchbruch der Avantgarde in Deutschland. Er gilt als einer der entscheidenen Wegbereiter gerade auch des Bauhauses, das ohne ihn 1919 in Weimar nicht gegründet worden wäre.
Karen Schröder
Informationen
Leidenschaft, Funktion und Schönheit. Henry van de Velde und sein Beitrag zur europäischen Moderne
24. März – 23. Juni 2013
Klassik Stiftung Weimar, Neues Museum Weimar