Daheim unterwegs Daheim

Im ungemütlichen Monat Januar ist Köln genau die richtige Stadt, um sich ein behagliches Zuhause vorzustellen. Anregungen gibt es auf der imm cologne, einer der weltgrößten Möbelmessen. 142 000 Besucher aus 137 Ländern kamen in diesem Jahr an den Rhein und 1 250 Unternehmen aus mehr als 50 Ländern zeigten die neuesten Trends. Bleibt die Frage, wird nun alles rund oder eckig?

Rhomben, Dreiecke, Polyeder – die Geometrie als ältere Schwester der Zahlenkunde ist wieder da und zwar in ihrer dekorativen Spielart für schönes Wohnen. Der rechte Winkel hat Pause. Stumpf- und Spitzwinkel treffen auf Ellipsen und Kreissegmente. Farbenfrohe oder pastellfarbene Präzision auf wollweiche Rundungen und Kristallform auf Knautschzonen. Mathematik ist schön, so wird es von Designern gezeigt und über Kissen, Tapeten bis zu Spiegeln oder in der Facettenoptik z. B. der Lampen von Koziol ausgebreitet, derweil Sofas und Sessel mit weicher Linie und behaglicher Polsterung schmeicheln. Apropos Facetten – noch vor der Geometrie war die Natur und punktete mit ihrer eigenen logischen Eleganz: Edelsteine, Bienenwaben, Gebirgsformationen, Schnee­kristalle. Kristallformen hatten schon Bruno Taut und mit ihm die frühen Expressionisten begeistert. Sie visionierten eine Schönheit, die spitz wie Stalagmiten und dabei so rein wie ein Bergkristall in den Raum wächst. Aber was ist die absolute Reinheit gegen Kontrast und Widerspruch, den Mix von Flächen und Floralem. Chaos trifft auf Ordnung. Die Schönheit der Räume basiert auf Vielgestaltigkeit.

Ebenso – und auch das war auf der Kölner Messe zu erleben – gibt es nicht mehr d e n Farbtrend, sondern ganze Harmoniesysteme (so der Farbexperte Axel Venn) bestimmen unser Wohlgefühl und verlangen dabei nach einem leuchtenden Akzent. Mit Blautönen wie „Dark Blue“ oder einem tiefen Grün und erst recht mit „Petrol“ könnte man ebenso den Ozean assoziieren wie den Anstrich alter Werkschränke. Die lichte Variante kommt aus dem Spektrum der Pastelltöne: zartes Petrol, Taubenblaugrau, Helloliv, ein puderiges Orange oder – den Optikschalter umgelegt – Rosa, Lachs und Rot. Das alles sanft und unzuckrig, eher nach Sand duftend oder wie von Staubgefäßen abgenommen. Die Zwischennuancen geben den Ton an und Grau muss immer ein wenig farbig wirken. Regelrecht eine kleine Farbenlehre arrangierte die Firma Artek. Sie feierte den 80. Geburtstag von Alvar Aaltos Milchschemelhocker „60“ in einem subtilen Pastellmix plus Schwarz. Strahlkraft bei Kravat, und als wären Farbbeutel fröhlich geplatzt die Inszenierung von Fatboy. Lümmelsäcke, überdimensionierte „Keinohrhasen“ und Hängematten werden als Lifestyle-Accessoires fürs nomadische Wohnen offeriert. Neues Nomadentum hat die Stilmadonna Li Edelkoort ohnehin der globalisierten Bevölkerung für die kommenden Jahre vorausgesagt. Smart um die Welt reisen, aber dann sich wieder erden und durch die Lande, ja, wandern, irgendwo sein Zelt aufschlagen, um bodennah und unkompliziert ein Dach über dem Kopf zu haben, selbst kochen und zu Hause mobil wohnen – so etwa bewegt sich der urbane Weltenwanderer zwischen draußen und drinnen, zwischen Metropolen und der Sehnsucht nach Land, und vor allem der sinnliche Genuss an allem, was erfassbar, anbaubar, essbar, herstellbar ist, bereichert das Dasein des Wandernden.

Nun aber Weiß! Weiß ist bei aller Farbenliebe allerdings nicht kleinzukriegen. Warum auch? Und Schwarz als Gegenspieler tritt wieder mehr auf den Plan und zeigt sich klassisch elegant (Sofa „Proto“/Benz) oder im hahnentrittbezogenen Lounge-Sofa „TOGO“ (Ligne Roset). Aber wirklich überraschend waren Karos für die Küche. Fronten wie Schottenröcke. Außer um Dekor und edle Oberflächen aus Holz bzw. steingraue Platten (Preisträger des Rates für Formgebung der „Häcker Küchen Movi Table“ mit monochromer Granitplatte) geht es im Bereich der zukünftigen Küche um Klugheit. Die Küche, so vermittelt es die im zweijährigen Rhythmus gemeinsam mit der imm cologne veranstaltete LivingKitchen samt ihren Kochschauen und Wettbewerben wie „Fleisch oder Vegan“ ist das Zentrum des Alltags. – Herz oder Bauch der Wohnung? Jedenfalls nicht ohne Kopf! Hier gibt es Oberflächen mit Kommunikationsangeboten wie beim iPad. Ein Fingerwisch genügt und man kann den Wetterbericht lesen, Nachrichten und Sport schauen, Kochrezepte abrufen und die Temperatur regeln. Transportable Küchenblöcke lassen den Raum verschwinden, um ihn neu zu kreieren: Da, wo die Kochplatte samt Touchscreen steht – da eben ist die Küche. Eine Messe muss Trends benennen und Zukunft erahnbar machen. Der Siemens Future Living Award 2013, ein gemeinsam ausgelobter Preis von Siemens und AD/Architectural Digest, ging an aroma_ID Designstudio aus Offenbach am Main mit dem dreiteiligen Projekt „Küche der Zukunft: 2020 – 2035 – 2050“. Im Jahr 2020 verschmelzen Küche und Wohnzimmer zum gesellschaftlichen Mittelpunkt. Mit einer Hightechkochbühne wird das Jahr 2035 vorweggenommen und mit „Back to the roots“ sind wir 2050 angekommen und bei den Langzeitstrategien vom Edelkoortinstitut, denn hier ist die Küche „ein natürlicher Wohnraum mit nachhaltiger Versorgung durch eigenen Anbau, in dem Kochen wieder zum emotionalen Genuss wird“. Mit etwas Fantasie kann man sich auch Gleichzeitigkeit vorstellen. Hölzer wie Nussbaum und Eiche geben dem Möbeldesign Struktur, Wärme und Natürlichkeit. Die Messe zeigt, die Natur ist nicht nur schlechthin um uns, sondern ein „Megatrend“ und nähert sich dem Urbanisten nicht allein als Schreinerschönheit (Massivholzschränke, Sideboards usw.), sondern wächst hinein in den Wohnraum. Pflanzen beanspruchen eine Anwesenheit, dass man sich den Pflegeaufwand besser nicht vorstellen möchte. Oder wohnt es sich in Asien, Afrika leichter mit üppigem Blattzeug? Zum zweiten Mal gab es auf der Kölner Messe die Inszenierung „Das Haus“. Nach dem Aufsehen erregenden Anfang durch das Designerpaar Doshi/Levien 2012 war diesmal der Venezianer Luca Nichetto beauftragt, „Das Haus“ als „integrale Design-plattform“ zu gestalten. Mit 350 Pflanzen bestückte er Lamellenaußenwände. Im Innern gab es prachtvolle grüne Inseln. Nichetto verglich sein „Haus“ mit einem „Mikrokosmos, der für den ganzen Planeten steht, ein globales System, in dem das Wohnzimmer für das Haus die gleiche Funktion hat wie der Amazonas-Regenwald für das Klima der Erde“. Topfpflanzen für ein besseres Raumklima im Wohnbereich, das begreift man – ob man es liebt oder nicht – bei den hermetischen Null-Energiehäusern allerdings als eine nahezu zwingende Maßnahme.

Und was bietet die Natur noch? Alles, was gejagt und geschossen und ausgestopft als Fell oder Hörnersammlung aufzutreiben ist! Das ist zugegebenermaßen inkorrekt. Der schwarze Rabe vor Pink oder das Rehkitz (als Nachbildung) in der Vitrine – so ließe sich die kapriziös inszenierte „Naturliebe“ beschreiben. Sie wirkt, als wären die naturkundlichen Dioramen der Welt ausgeraubt worden.

Es lebe das Leben! Das aber ist weniger Köln als Paris mit einer fantastischen Maison&Objekt. ES GEHT AUCH OHNE FELL UND HORN! Nämlich mit skandinavischem Minimalismus (Hay). Wolle und Filz noch immer als Weichzeichner, dazu neu interpretierte Romantik (die Rosatöne) und deutlich weniger skulpturale Extravaganzen, dafür aber wunderbar leichte und praktische Einzelmöbel – Hocker, Beistelltische, Wandsekretäre. Diese glänzen übrigens auch im klassischen Bereich wie das Schmuckstück „Nubo“ von Ligne Roset aus Buche mit Eichenfurnier. Es ist gerade 14 cm hoch und mit grüner Wolle bekleidet. So erinnert es an die einstigen Rehpinscher, die ein Leibchen gegen Zugluft brauchten. Neben den rundlichen frischfarbigen Sofas, neben fantastischen Schalensesseln (ach, die Italiener!) und einladenden Tischen – den eigentlichen Wohnungsmachern – sind die Kleinen was fürs Auge!

Von Anita Wünschmann

 

54 - Frühjahr 2013