Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Gerhard W. Steindorf
Der Mann hat in Berlin weithin sichtbare Spuren hinterlassen und wird es auch in den nächsten Jahren noch tun. Gleichwohl ist sein Name nicht so in aller Munde wie der von anderen Machern in dieser Stadt. Dabei hätte er es mehr als verdient. Denn ganze Stadtteile hat er entwickelt und ihnen sanft seinen Stempel aufgedrückt. Wissenschaftspark Adlershof und Tempelhofer Freiheit, beide Gebiete sind untrennbar mit seinem Namen verbunden. Um zu verstehen, wie Gerhard W. Steindorf es geschafft hat, sich derart geräuschlos und nahezu unsichtbar auf einem politisch ziemlich verminten Terrain zu bewegen und durchzusetzen, muss man ganz an den Anfang seiner Entwicklung zurück.
Vermutlich schon in seinem Elternhaus mit sechs Kindern lernt Steindorf, dass der Kompromiss allemal effektiver ist als die Konfrontation. Nach dem Abitur studiert der gebürtige Hesse Ingenieurwesen mit Fachrichtung Hochbau/Architektur in Frankfurt am Main und schließt dort bereits 1969 mit nur 21 Jahren als Diplom-Ingenieur seine universitäre Ausbildung ab. Erste berufliche Erfahrungen sammelt er als Architekt bei der Aktiengesellschaft für Industrieplanung, AGIPLAN, in deren Frankfurter Büro. Bei diversen Industrieprojekten lernt er sehr schnell, dass der Inhalt wichtiger ist als die Hülle und dass erst die Funktionalität kommt, dann das Design. Seine Rolle als Architekt interpretiert er dabei zudem mehr als Koordinator und Moderator, denn als reiner Zeichner.
Steindorfs nächster Entwicklungsschritt erfolgt 1971, als er in das Geschäft der Projektsteuerung und Finanzierung einsteigt. Die DAL Deutsche Anlagen-Leasing in Mainz und die DG Immobilien Leasing GmbH, die Immobilien-Leasing-Gesellschaft der genossenschaftlichen Bankengruppe, in Frankfurt sind die beiden Stationen, die ihn während der nächsten 21 Jahre prägen – und, das sei nur nebenbei bemerkt, widerlegen, was den im Sternzeichen Zwillinge Geborenen so nachgesagt wird: dass ihr Interesse an einer Sache nicht lange anhält.
Dafür bestätigt Steindorf aber nachhaltig, dass Zwillinge an allem interessiert sind, Wissen wie ein Schwamm aufsaugen und ein breitgefächertes Allgemeinwissen dem Spezialwissen auf (nur) einem Gebiet vorziehen. Die ganzen Jahre ist er permanent auf Achse und von Kiel bis Konstanz quer durch die Republik unterwegs. Dass das auf die Knochen geht und auch Spuren im Familienleben hinterlässt, weiß er und ist heute noch dankbar für den großen Rückhalt vor allem seiner Frau.
Und es geht weiter. 1992 zieht es Steindorf zur Projektentwicklung. An der Seite des FDP-Politikers und ehemaligen Berliner Schulsenators Walter Rasch übernimmt er die Geschäftsführung der HANSEATICA Unternehmens Consulting GmbH und ist dort verantwortlich für Ankauf, Projektentwicklung, Vermietung und Verkauf sowie Objektverwaltung und mittelfristige Investments. Nach sechs Jahren lockt die Deutsche Bank, genauer gesagt die zentrale Immobiliengesellschaft der Deutschen Bank, in der er Leiter des Bereichs Projektentwicklung und zugleich Leiter des Berliner Büros wird. Doch eine strategische Neuausrichtung der Bank und die Umstrukturierung ihres Immobilienbereichs beenden 2001 sein Gastspiel. Nach einem für seine Verhältnisse kurzen Intermezzo, in dem Steindorf bis 2003 an der Strukturierung und dem Aufbau einer deutschen Beratungsgesellschaft für Fusionen, Unternehmenskäufe und -verkäufe im Mittelstandssegment mitwirkt, erfolgt schließlich der Ruf des Berliner Senats, und er wird Geschäftsführer der Adlershof Projekt GmbH. Es beginnt eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. In einem Interview im Jahre 2009 zieht er Bilanz: „Adlershof kreiert jährlich 500 bis 600 neue Jobs aus dem Bestand der vorhandenen Unternehmen heraus. Hinzu kommen Arbeitsplätze aus Ansiedlungen von außen. Nach verschiedenen Entwicklungsphasen sind wir jetzt dort angekommen, wo die große Idee aufgeht. In der Tat sind aus kreativen Ideen Firmen geworden, die nun eigene Forschungs- und Produktionsanlagen bauen, ist aus Wissen Wirtschaft geworden ... Bedenkt man die Anfänge der Entwicklung nach der Wiedervereinigung, als der gesamte Standort verlassen war, ist Adlershof heute mit mehr als 20 000 Menschen am Standort – Forscher, Angestellte, Arbeiter und Studenten – ein Vorzeigemodell für die gelungene Reindustrialisierung in einem neuen Kaliber, nachhaltig und längst schon ohne rauchende Schlote.“
Zu diesem Zeitpunkt ist der Flughafen Tempelhof bereits geschlossen, eine wie auch immer geartete Nachnutzung nicht in Sicht. Ideen gibt es zwar viele, die werden aber ebenso schnell, wie sie gekommen sind, wieder verworfen. Zu diesem Zeitpunkt muss es jemandem im Berliner Senat gedämmert haben, dass da einer in Berlin ist, der nachweislich Stadtentwicklung kann. Und so holt man Steindorf, der sich zunächst – sozusagen im Nebenjob – mit einem 15-köpfigen Team aus Biologen, Ingenieuren, Soziologen, Stadtplanern und weiteren Fachleuten anderer Disziplinen den Kopf darüber zerbricht, was man mit dem 3 860 000 Millionen Quadratmeter großen Areal so alles anstellen kann. Auch dabei werden viele Ideen geboren und wieder verworfen. Gegen Ende 2010 ist es dann soweit. Die Idee vom multifunktionalen Standort für Wohnen und Technologie, Wissenschaft und Bildung wird abgeliefert und muss wohl so überzeugend gewesen sein, dass Steindorf seit dem 1. Januar 2011 Geschäftsführer der Tempelhof Projekt GmbH ist.
Ein Berliner Wirtschaftsmagazin hat Steindorf seinerzeit als „Visionär von Tempelhof“ bezeichnet. Dem kann man sich auch heute noch getrost anschließen. Und dankbar muss man sein, dass der so Gelobte nicht einem alten Ratschlag von Altkanzler Helmut Schmidt gefolgt ist. Der hatte ja bekanntlich einmal empfohlen: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.
Mittlerweile gibt es vielmehr einen Masterplan für das Areal, vom Senat abgesegnet und gerade im März vorgestellt: Die große Grünfläche soll weitgehend erhalten bleiben, an den Rändern sind Wohnungen und Gewerbeflächen geplant. Auch die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) ist dort vorgesehen. Bis 2025 soll alles fertig sein. Dann wird Steindorf zwar längst in Rente sein. Für seine letzten zwei Jahre hat er sich aber noch einiges vorgenommen. „Das Wichtigste ist jetzt, Baurecht zu schaffen und die Gebäude zu füllen.“ Das heißt, erneut dicke Bretter bohren. Dass er das kann, hat er ja schon in Adlershof beweisen.
Detlef Untermann