läuft, spielt, wirft, trifft

Der 38-jährige Handballprofi und Füchse-Kapitän Hans Lindberg ist einer der besten Linkshänderim Welthandball und hat nahezu alles gewonnen, was es in dem Sport zu holen gibt.

Das muss auch einen gestandenen Profi aus der Ruhe bringen. „Können wir unser Gespräch etwas verschieben? Ich soll meinen Sohn früher aus der Kita abholen“, bittet Hans Lindberg. Kein Problem. Am Telefon wird der nächste Tag fürs Interview auserkoren. „Wie geht‘s dem Kleinen, alles wieder in Ordnung?“ Der Vater winkt ab. „Jaja, kein Thema. Carl Philip macht Eingewöhnung in der Kita. Da hat er tolle Tage und manchmal weniger tolle. Gestern war ein weniger toller“, erklärt Hans Lindberg.

Solch ein Anruf aus der Kita ist einer der wenigen Sachen, die den 38 Jahre alten Dänen nervös wirken lassen. Der im Juni 2018 geborene Junge soll wie sein drei Jahre älterer Bruder Aron August spielend mit anderen Kindern Deutsch lernen, während bei Lindbergs daheim nur Dänisch gesprochen wird. „Das ist ein Privileg, so die Sprache zu lernen. Das können die Jungs später ganz sicher mal brauchen“, sagt er. Der Handballer ist öfter mal für die Kinderbetreuung zuständig. Seine Frau hat ihr Jurastudium abgeschlossen und arbeitet in einer Berliner Anwaltskanzlei. „Ob wir nach meiner Karriere nach Dänemark zurückgehen oder in Berlin bleiben, das steht noch nicht fest“ – ein Grund für die Familie, beide Sprachen der Söhne zu fördern. Bei Hans Lindberg ist kaum noch zu merken, dass er kein deutscher Muttersprachler ist. „Ich hatte zwar in der Schule Deutsch, aber naja, ich war ein Schüler, der lieber draußen dem Ball nachjagte, als drinnen in die Bücher zu schauen“, winkt er ab und verweist auf seinen Start in der Bundesliga. „Als ich 2007 aus Viborg nach Hamburg kam, war ich der einzige Däne. Da musste ich schnell lernen“, erzählt er und versichert, dass seine Frau noch viel besser Deutsch sprechen würde.

Dafür beherrscht er die schwierigste europäische Sprache: Isländisch. „Meine Eltern stammen aus Island. Sie sind aber schon als 22-Jährige nach Dänemark ausgewandert. Dort bin ich auch geboren.“ Dabei verbrachte Hans Lindberg die ersten 18 Jahre seines Lebens in der neuen Heimat seiner Eltern praktisch unter falscher Identität. „Ich bin in der Nähe von Kopenhagen geboren und habe mich immer als Däne gefühlt“, bekundet er. Daheim wurde auch Isländisch gesprochen und die Familie flog oft zum Besuch der fünf Schwestern der Mutter oder der fünf Schwestern des Vaters auf die Nordatlantikinsel. In der Schule lernte er perfekt die Sprache seines Geburtslandes, hatte – wohl fälschlicherweise – einen dänischen Kinderpass für die vielen Flüge nach Island und schaffte es als begeisterter Sportler sogar bis in die dänische Jugend-Nationalmannschaft der Handballer. Zuvor war der Linkshänder auch ein begnadeter Fußballer, hatte sich aber für das kleinere Leder entschieden, weil man da mehr Tore werfen konnte.

„Als ich mit 18 Jahren ein Stipendium beantragt habe, sagten mir die Behörden, dass das nicht ginge. Ich sei schließlich Isländer.“ Das hat selbst die Eltern überrascht, war aber logisch. Hans wurde freigestellt, für welche Staatsbürgerschaft er sich entscheidet. „Ich nahm natürlich die dänische“, erklärt er heute noch kopfschüttelnd die kuriosen Wirren um seine Identität als Jugendlicher und erwähnt, dass seine Eltern nach wie vor den isländischen Pass haben.

Die Eltern haben dem Sohn auch die sportlichen Gene vererbt. Seine Mutter Sigrun Sigurdadottir trug sogar das Trikot von zwei isländischen Nationalmannschaften: im Fußball und im Handball. Sein Vater Tomas Erling Lindberg Hansson („Nach Opa Hans bin ich auch Hans genannt worden.“) musste nur wegen einer Verletzung seine Handball-Karriere früh beenden. Lindbergs jüngerer Bruder spielt Handball nur zum Spaß, seine jüngere Schwester ist eine der besten Turnerinnen Dänemarks.

Als Handballprofi hat Lindberg nahezu alles gewonnen, was es auf der Welt zu holen gibt: Er ist Welt- und Europameister, gehörte zur Olympiasieger-Mannschaft von Rio, gewann mit dem Hamburger HSV die Meisterschaft, den Pokal und die Champions League. Er war Torschützenkönig in Dänemark wie in der Bundesliga und gilt als einer der weltbesten Strafwurf-Spezialisten. Die schlimmste Niederlage war unverschuldet 2016 die finanzielle Pleite des HSV, für den er neun Jahre Tore warf. „Ich habe die Welt nicht mehr verstanden, es war ungeheuer bitter“, gesteht er, kommt aber gleich zum Plus der Sache. „Ich hatte doch unendliches Glück. Ich wollte in der Bundesliga bleiben und zudem auch in einer Großstadt. Was kann mir da Besseres passieren als Berlin?“, fragt er ohne eine Antwort zu erwarten.

Inzwischen ist das Kapitel Hamburg, wo die Lindbergs sesshaft werden wollten, abgehakt: Das Haus in der Hansestadt ist verkauft und die Familie wohnt seit drei Jahren idyllisch in Niederschönhausen am Schlosspark Pankow. „Wir fühlen uns richtig wohl in Berlin, sind schon lange hier angekommen, wie man so sagt.“ Trotzdem war die Umstellung damals riesig, weil der Umzug Hals über Kopf entschieden werden musste und keinerlei geistiger Vorlauf stattfand. Als der Nationalspieler in die Hauptstadt wechselte, entstand auch die Mär, dass er seine Frau bei einer Modenschau kennengelernt hätte. „Auch wenn man das wieder und wieder behauptet – es stimmt nicht. Wir haben uns in Viborg bei gemeinsamen Freunden getroffen.“ Das Gerücht kursiert wohl deshalb so hartnäckig, weil die Dänin eine Zeitlang als Model gejobbt hat und der Handballer eine gewisse Affinität zu modischer Kleidung nicht leugnet.

Die 38 Jahre merkt man dem Team-Senior und Mannschaftskapitän der Füchse Berlin nicht an. In allen Bundesliga-Partien legt er als Außenspieler und Konterspezialist die längsten Wege zurück. In dieser Saison noch mehr als sonst, weil sein Pendent Mattias Zachrisson aus Schweden verletzt ausfällt. Doch Lindberg, läuft, spielt, wirft, trifft. „Wir haben ein tolles Team. Und ich bin nach Berlin gekommen, um Titel zu gewinnen“, sagt er. Trotz seiner vielen Verdienste tritt der Handballer Hans Lindberg noch lange nicht kürzer.

Hans Moritz

 

80 - Herbst 2019
Sport