Um die Jahrtausendwende hatte der deutsche Vereins-Basketball ein Synonym: Alba Berlin. Der Club dominierte die Bundesliga scheinbar nach Belieben. In der Vorrunde 2000/2001 gewannen die Hauptstädter 25 von 26 Spielen, danach neun von zehn Playoff-Partien. Von 1997 bis 2003 hisste man eine Fahne nach der anderen für die gewonnene Meisterschaft unter dem Dach der damaligen Spielstätte Max-Schmeling-Halle.
Der Dauererfolg in der zuvor nicht für guten Basketball bekannten Hauptstadt kommt nicht von ungefähr und steht im Einklang mit dem Namen: Marco Baldi. Der heute 57-Jährige wird bei dieser Bemerkung sofort die Hände heben und auf fast ebenso lange Weggefährten aus der Alba-Geschäftsführung und Vereins-Ehrenpräsident Dieter Hauert verweisen. Doch Baldi, Sohn einer Deutschen und eines Italieners, der vor 35 Jahren für Alba-Vorläufer DTV Charlottenburg in der Basketball-Bundesliga spielte, gilt zurecht als Vater des Clubs. „Naja, ein bisschen verrückt muss ich damals gewesen sein. Aber das sind wir alle bei solchen Unternehmungen“, sagt er. 1990 gab Baldi seinen gut dotierten Job bei einem Automationshersteller in Stuttgart auf, um die Geschäftsstelle des bankrotten Basketball-Vereins in Charlottenburg zu übernehmen.
Binnen weniger Wochen stellte der studierte Betriebswirt eine Mannschaft auf, die sogar ins Finale um die Meisterschaft vorstieß. Der weitere Aufstieg erfolgte kontinuierlich. Vor etwa 15 Jahren übernahmen dann Vereine aus Bamberg und München dank gigantischer Geldsummen das Zepter. – Bedauert Marco Baldi, der bei Alba Berlin nach wie vor als Geschäftsführer alle Fäden in der Hand hält, den Verlust der unangefochtenen Poleposition in Deutschland? „Nein, denn unser Verein verfolgt seit fast anderthalb Jahrzehnten ein Konzept, das mittlerweile Früchte trägt und viel mehr beinhaltet, als anderen Proficlubs von der Spitze der Bundesliga aus zuzuwinken“, sagt er.
Der Club hat sich in akribischer Arbeit so aufgestellt, dass die 16 Spitzenathleten der Profimannschaft im Gesamtgefüge zwar das sportliche Aushängeschild darstellen. Der Mantel um diesen Kern ist aber inzwischen so umfangreich geworden, dass tausende Mädchen und Jungen unter dem Dach von Alba eine sportliche Heimat gefunden haben. „Wir sind der einzige mir bekannte Proficlub, der etwa 35 Prozent seines Gesamtetats in die Arbeit mit Jugendlichen aus der ganzen Stadt und deren Umgebung steckt“, sagt Marco Baldi. 8 000 Mädchen und Jungen aus allen Stadtbezirken treiben wöchentlich Sport, angeleitet von Alba-Trainerinnen und -Trainern. Für dieses gigantische Projekt hat der Basketballclub 120 Übungsleiter unter seinen Fittichen, von denen mehr als 70 versicherungspflichtig bei Alba angestellt sind. Rund die Hälfte der 40-köpfigen Besatzung in der Geschäftsstelle widmet sich in der täglichen Arbeit ausschließlich der Nachwuchsförderung und dem sozialen Engagement in vielerlei Projekten, wie dem Spezialprojekt „Der große Wurf“, das für Kitas und Schulen in der Berliner Gropiusstadt ein einzigartiges Sportmodell darstellt.
„Wir können Spitzenbasketballer nicht beliebig einkaufen, sondern bilden sie selber aus. Siege und Pokale stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit“, sagt Baldi und verweist auf gegenwärtig acht Eigengewächse im Profikader des Europacup-Finalisten der vergangenen Saison. „Aber wir wollen auch, dass die vielen anderen, die nicht ins Profigeschäft wollen oder können, die Lust am Sport behalten und machen Angebote, damit sie bei uns oder in anderen Vereinen weiter am Ball bleiben.“
Mit der ehemaligen deutschen Basketball-Ikone Henning Harnisch hat er einen Vorkämpfer gewonnen, der sich dieser Aufgabe mit viel Herz widmet. Nichts könne so viel für die Integration Jugendlicher tun wie der Sport. „Es geht ja nicht nur um die regelmäßige Bewegung. Durch das Zusammensein entstehen spielerische Begegnungen junger Menschen aller Herkünfte und Schichten. Junge Leute, die sich gemeinsam bewegen, verbinden sich und verstehen besser und können darüber glücklicher werden“, sagt Baldi.
2006 wurde die Idee geboren, den Verein als gesellschaftliche Institution aufzustellen. Seinerzeit galt der Slogan: Berlin hat wenig Geld, aber viele Leute. „Um diese Schere nicht überschnappen zu lassen, braucht es gute Ideen. Und da sind wir mit unserem neuen Vereinskonzept gestartet“, so Baldi. In Schulen und später auch Kindergärten rührte Alba die Werbetrommel für den Basketball. Das Konzept ging auf. Sicherlich ist da – wer kann das bei jährlich rund drei Millionen Euro Einsatz aus dem Vereinsetat verdenken? – auch Eigennutz dabei. „Die Leute, die bei uns Basketball spielen, bilden eine riesige potenzielle Fangemeinde“, berichtet Baldi. Das wog das Risiko auf, mit dem Umzug von der Max-Schmeling-Halle in die Mercedes-Benz-Arena in der größten Basketball-Halle der Bundesliga anzutreten. Alba ist inzwischen nicht mehr nur ein Verein, sondern eine Gemeinschaft. Mit dem großen sozialen Engagement ist der Club tief in der Gesellschaft verankert.
Mehr als 750 Mädchen spielen bei Alba Basketball. „Unsere Frauenmannschaft hat bis in die zweite Bundesliga gespielt. Und ich bin ganz sicher: Das ist nicht das Ende. Bald wird Alba mit einer Mannschaft aus ‚Eigengewächsen‘ in der Bundesliga der Frauen mitmischen.“
Hätte es für Baldi auch ein anderer Sport sein können? „Ich habe zwar alle möglichen Sportarten getrieben: Fußball, Schwimmen, ich war auch ein guter Sprinter“, sagt der Mann, der als jugendlicher Handballer in der Landesauswahl von Baden-Württemberg Tore warf. „Aber als ich mit Basketball angefangen habe, habe ich mich sofort verliebt: in die Ästhetik, die direkten Duelle mit deinem Gegenspieler, die vielen Skills und Finessen, das enorme Tempo im Spiel“, schwärmt Baldi. Deswegen hat er die Hauptstadt in dieser Sportart auf die Landkarte gehoben, in einem Fall sogar auf die Weltkarte. „Ja, der Gewinn des Kora´c Cups 1995 wird wohl immer ein großes Highlight bleiben. Das war eine Sensation. Damals haben wir die Welt eingerissen“, erinnert er sich an den ersten und immer noch einzigen Europapokal für eine deutsche Basketball-Mannschaft und den vollkommen überraschenden Coup seiner Albatrosse. Seitdem legt der Berliner „Mister Basketball“ die unzerstörbare Grundlage für den Fortbestand hochklassigen Sports an der Spree. Deswegen ist er auch nicht traurig, dass der Verein nach der Dominanz vor rund zwei Jahrzehnten auch anderen Clubs vorübergehend die Meisterschaft überlassen musste. „Höchste Wettbewerbsdichte ist die Essenz im Profisport. Wir sind gut aufgestellt, so dass wir Jahr für Jahr die deutsche und europäische Spitze attackieren können“, versichert Baldi.
Hans-Christian Moritz