Nach der ersten Runde im DFB-Pokal, bei der sich Mannschaften der oberen Ligen gegen unterklassige Gegner oft schwertun, schied Hertha beim Zweitligisten Braunschweig dann auch prompt aus. Und Union besiegte erst in der Verlängerung den viertklassigen Chemnitzer FC. Am ersten Spieltag der Fußball Bundesliga starteten beide Mannschaften dann mit dem Derby gegeneinander in die neue Saison.
Der Sieg der Unioner über die Herthaner sollte bezeichnend für den Saisonauftakt der beiden Vereine stehen. Interessantes Detail: Beide Vereine verstärkten sich mit Stürmern von Young Boys Bern aus der Schweiz für die neue Saison. Der 1. FC Union holte sich mit Jordan Siebatcheu den Torschützenkönig der letzten Schweizer Saison und Hertha BSC holte Winfried Kanga. Während Siebatcheu den Führungstreffer im Derby für die Unioner erzielte, wurde Kanga auf der anderen Seite erst in der 60. Minute eingewechselt und konnte den 3:1-Sieg der Unioner nicht mehr verhindern.
Beim 1. FC Union Berlin folgte auf den Derbysieg zum Auftakt ein 1:1 bei Mainz 05. Das 2:1 in der Alten Försterei gegen RB Leipzig am dritten Spieltag der Bundesliga setzte dann ein erstes Achtungszeichen für die gute Form der Unioner zum Saisonstart. Als beste Mannschaft der vergangenen Rückrunde und als Pokalsieger konnte man RB Leipzig als einen ernsten Herausforderer der Bayern auf den Titel einstufen. Daher ließ dieser Sieg gegen die Leipziger aufhorchen. Ein deutliches 6:1 beim Aufsteiger Schalke 04 eine Woche später lässt schließlich keinen Zweifel mehr an den gelungenen Saisonstart der Köpenicker. Bei 10 Punkten aus vier Spielen steht Union aktuell auf dem zweiten Tabellenplatz und empfängt nun in der Alten Försterei den punktgleichen Tabellenführer aus München. Wer hätte das vor einem Jahr gedacht?
Und bei der Hertha? Nach der Niederlage zum Auftakt im Derby, die immer besonders ärgerlich ist für den Verlierer, die sich aber „auswärts“ in der Alten Försterei abspielte und bei dem nur die wenigsten wirklich einen Sieg der Hertha erwartet hatten, empfing Hertha BSC am zweiten Spieltag im Olympiastadion Eintracht Frankfurt. Nach einer sehr guten Leistung in der ersten Halbzeit und der verdienten 1:0-Führung verschenkte Hertha allerdings den Sieg gegen den Europe-League-Sieger mit einer mäßigen Leistung in der zweiten Halbzeit, so dass anstatt drei Punkte nur ein Punkt heraussprang. Dieser Punkt blieb bis jetzt der einzige Punktgewinn, denn im darauffolgenden Spiel bei Borussia
Mönchengladbach verlor die Hertha genau so 1:0 wie danach im heimischen Olympiastadion gegen die andere Borussia aus Dortmund. Bei beiden Spielen war die Leistung der Hertha ordentlich, nur war dies zu wenig, um den Gegnern Punkte abzunehmen. Nun kann man auswärts in Gladbach und zu Hause gegen Dortmund verlieren, dies wird auch anderen Mannschaften passieren, in der Summe bedeutet aber ein Punkt aus vier Spielen der vorletzte Platz in der Tabelle und setzt die Hertha früh in der Saison unter Zugzwang. Weitere Ausrutscher kann man sich nun kaum noch leisten. Am nächsten Spieltag bei den Augsburgern, die trotz eines Überraschungssieges gegen Champions League-Teilnehmer Leverkusen nur Niederlagen einstecken mussten, wäre ein Punktgewinn Pflicht. Ein Sieg wäre ein kleiner Befreiungsschlag aus der momentan schlechten Situation. Denn danach geht es für die Hertha zu Hause gegen Leverkusen, die zwar einen schlechten Saisonstart hinlegten, jetzt aber, so scheint‘s, zur bekannten Stärke zurückgefunden haben.
Während also der 1. FC Union Berlin mit Platz zwei den besten Saisonstart seit seiner Bundesligazugehörigkeit hingelegt hat, geht es bei Hertha BSC im bekannten Krisenmodus der Vorsaison auch in dieser Spielzeit scheinbar nahtlos weiter. Bezeichnend für die unterschiedlichen Platzierungen der beiden Berliner Vereine in der Bundesliga ist auch die Torausbeute. Während Union in vier Spielen elf Treffer erzielte und nur der FC Bayern München mit 16 Toren besser war, gelangen der Hertha nur zwei Treffer. Die geringe Chancenausbeute scheint bei Hertha immer noch eines der Hauptprobleme zu sein. Denn auch das bisherige Fazit der beiden Stürmer, die von Young Boys Bern nach Berlin gewechselt sind, lässt diesen Rückschluss zu: Kanga ist bei Hertha BSC noch torlos und wird mit seinen Einsätzen in den vier Bundesligaspielen mit der Kickernote 4,25 bewertet, während Siebatcheu für Union bisher zwei Treffer in den Bundesligaspielen erzielen konnte (Kickernote: 2,75) und Union im Pokalspiel durch seinen Ausgleichstreffer in die Verlängerung rettete, in der Union dann den Siegtreffer erzielte und damit das Weiterkommen in die nächste Runde erreichte, an der Hertha BSC schon nicht mehr teilnimmt.
Natürlich ist nach nur vier Spieltagen der Fußballbundesliga noch alles offen. Der 1. FC Union Berlin wird zeigen müssen – gerade auch mit der Doppelbelastung im Herbst durch die Spiele in der Europe League –, ob die jetzigen Bundesligaergebnisse Bestand haben. In der Europe League lautet die aktuelle Zielsetzung der Köpenicker, die Gruppenphase zu überstehen, um in den KO-Modus im nächsten Frühjahr einziehen zu können, was in der letzten Saison bei den Spielen in der Conference League nicht gelang.
Bei Hertha BSC wird das Ziel aktuell wohl erstmal Klassenerhalt lauten. Für den Charlottenburger Verein mit seinem neuen Präsidenten wäre dies enorm wichtig, um in ein ruhigeres Fahrwasser zu kommen nach den Aufregungen der letzten Saison. Am besten möglichst schnell mit fußballerischen Leistungen, die nicht nur ordentlich sind, sondern auch die nötigen Punkte für den Klassenerhalt einfahren. Sonst kommen hektische Schadensbegrenzung und Rufe nach dem Trainerwechsel auf die Tagesordnung. Und die können die Herthaner eigentlich weniger denn je gebrauchen.
Und dann gilt es für alle Bundesligavereine, die ungewöhnlich lange Winterpause von Mitte November bis Mitte Januar aufgrund der Winter-WM in Katar zu überstehen. Die einen Mannschaften verlieren ihren guten Lauf, während andere die Chance haben, sich neu auszurichten und Fehler zu beheben. Wie diese Herausforderung die beiden Berliner Vereine meistern werden, können wir dann erst Anfang des neuen Jahres sehen.
Steffen Dobrusskin