Neukladow an der Havel war einst der Pilgerort für alle, die in der Berliner Kultur Rang und Namen hatten.
Man braucht heute schon sehr viel Fantasie in Kladow. Was sich auf dem Gutshof vor 100 Jahren abspielte und welcher Zauber von dem Ort ausging, ist nur noch zu erahnen. Geblieben sind das historische Herrenhaus und die überaus reizvolle Lage am Großen Wannsee inmitten eines Landschaftsparks mit altem Baumbestand. Das klassizistische Gutshaus erhebt sich 15 Meter über dem See und ist schon sichtbar, wenn man von Wannsee mit der Fähre kommt. Von der Anlegestelle sind es gute zehn Minuten Fußweg.
Im Jahre 1800 ist das ockerfarbene Hauptgebäude wohl unter Federführung des berühmten Architekten David Gilly erbaut worden, aber genau belegt ist das nicht. Immer wieder wechselte der Gutshof die Besitzer, einst war die Mutter Otto von Bismarcks hier aufgewachsen, bis die Unternehmerfamilie Guthmann das heruntergewirtschaftete Anwesen übernahm. Unter Johannes Guthmann, einem Kunsthistoriker und Schriftsteller, wurde das Haus ab 1909 zum Musentempel. Glücklicherweise hat jener später in seinen Memoiren erzählt, wie es damals gewesen ist in Neukladow oder besser Neu-Cladow, wie es sich bis 1930 schrieb.
Johannes Guthmann bewohnte das Kladower Gut zusammen mit seinem Lebensgefährten Joachim Zimmermann, einem Historiker. Das Paar ließ das Anwesen durch den Architekten Paul Schultze-Naumburg umbauen und erweitern. Torhäuser, ein Gartenpavillon, Pergolen und eine die gesamte Anlage umfassende Mauer wurden errichtet. Sichtachsen wieder hergestellt. Weil Guthmann einen reichen Blumenflor schätzte, zog er den jungen Staudenzüchter Karl Förster hinzu, mit dem ihn später eine Freundschaft verbinden sollte. Wie der Garten nach 1910 ausgesehen hat, das vermitteln die luftigen Gemälde Max Slevogts eindrücklich. Da wird denn sogar ein Pfau zum pittoresken Blickfang inmitten der bunten Blumenrabatten.
Joahnnes Guthmann verfügte nicht nur über das nötige Geld, sondern brachte zusammen mit seinem Freund genügend künstlerischen Feinsinn und Enthusiasmus mit, um Neukladow zu einem Pilgerort zu machen für alle, die in der Berliner Kultur Rang und Namen hatten. Der Schriftsteller Gerhart Hauptmann, die Schauspielerin Tilla Durieux und der Theatermann Max Reinhardt gingen ein und aus. Der Industrielle und spätere deutsche Außenminister Walther Rathenau gehörte ebenso zu den Gästen. „Neu-Cladow wurde der Inbegriff von ‚Sonntag‘ überhaupt“, so schwärmte Guthmann von dieser Zeit. Im Obergeschoss des Gutshauses befanden sich Gästezimmer, so dass immer wieder auch Besuch über Nacht in Kladow verweilte.
Legendär waren die durch Max Reinhardt angeregten Theateraufführungen im Park. Leider sind keine Fotos überliefert. Auf Zeichnungen des Malers Philipp Franck anlässlich der ersten Aufführung im Juni 1912 sind antikisierende Szenen dargestellt. Profi- und Laiendarsteller traten gemeinsam auf. Es ist von insgesamt rund 300 Mitwirkenden die Rede. Nach den langen Theatervorstellungen und Kostümfesten im Park haben viele Gäste das Angebot, über Nacht zu bleiben, gern angenommen.
Den Maler Max Slevogt ließ Johannes Guthmann seinen neuen Gartenpavillon ausmalen – für Slevogt eine ganz neue Erfahrung. Sogar Max Liebermann kam mehrfach über den Wannsee herüber und ließ sich zu eigenen Wandmalereien inspirieren. Ebenfalls aus Wannsee kam der Bildhauer August Gaul, der den Park mit seinen Tierplastiken bevölkerte.
Die freundschaftliche Beziehung zu Slevogt ragt zweifellos aus all den anderen Kontakten, die Johannes Guthmann zu zahlreichen Künstlern unterhielt, heraus. Als das „schönste Schutz- und Trutzbündnis“ bezeichnete Slevogt sein Verhältnis zu Guthmann in einem Brief von 1917. Von Slevogt ließ sich dieser immer wieder portraitieren, ihm widmete Guthmann später seinen Band „Scherz und Laune“ mit skizzenhaften Gelegenheitsarbeiten Slevogts. Darin spiegelt sich die Leichtigkeit und Unbekümmertheit der Kladower Tage.
1921 entschloss sich der Vater Johannes Guthmanns, das Kladower Anwesen seiner Tochter Mary aus zweiter Ehe zu überlassen, die mit ihrem Ehemann eine Landwirtschaft betrieb. Das war für den Schöngeist, der hier zuvor Regie führte, ein herber Schlag. 1928 verkaufte die besagte Schwester das Anwesen an die Stadt Berlin. Die schönste Zeit Neukladows war endgültig vorbei. In der Nazizeit wurde das Gut militärisch genutzt, und nach dem Krieg diente es der Arbeiterwohlfahrt als Freizeitheim. Heute bemüht sich eine Bürgerstiftung um den Erhalt des Bau- und Gartendenkmals. Die Guthmann-Akademie erinnert an die vielen besonderen Menschen, die Neu-Cladow einst besuchten. Ausstellungen, Konzerte und Lesungen sollen das Kleinod wieder zu einem lebendigen Ort der Kultur machen.
Karen Schröder
Information
Das Café ist täglich von 10.00 Uhr bis mindestens 17.00 Uhr geöffnet
Guthmann Akademie (Hrsg.)
Miriam-Esther Owesle:
Mimen, Musen und Memoiren.
Illustre Gäste in Neu-Cladow.
Edition Neu-Cladow [2].
200 Seiten, 22 x 24 cm,
Paperback, 56 schw.-w. Abb., 2019