In Berlin muss dichter und höher gebaut werden, um die Wohnungskrise in den Griff zu bekommen. Die Menschen müssen enger zusammenrücken, vor allem, wenn es um Wohnraum in der Innenstadt geht – so Eike Becker. Berlin vis-à-vis sprach mit dem Berliner Architekten.
Sie bauen Hochhäuser, Hotels, Wohnungen, sind stadtplanerisch tätig und entwickeln Produktdesigns. Welche Aufgaben liegen Ihnen besonders am Herzen?
Ich bin mit Leib und Seele Gestalter. Ich mag es, wenn Gegenstände praktisch sind und schön aussehen. Ich bin aber auch interessiert an städtebaulichen Fragen, die die ganze Gesellschaft betreffen.
Alles um uns herum ist geplant. Daran mitzuwirken, ist für mich eine faszinierende Aufgabe. Als ich als Architekt angefangen habe, träumte ich davon, Häuser zu bauen wie einen Ferrari Testarossa. Aber ich habe dann schnell eingesehen, dass es in meiner Branche vor allem auch um Verantwortung für die Gesellschaft geht.
Sie haben 60 Mitarbeiter und gehören zu den vielbeschäftigten Architekturbüros. Was ist für Sie gelungene Architektur?
Architektur muss Ansprüche und Wünsche erfüllen, um erfolgreich sein zu können. Sie muss dem Menschen nützlich sein. Architektur kann hilfreich sein, sich als Gesellschaft oder als Gruppe zu formieren. Wichtig ist ihre Nachhaltigkeit. Langfristig müssen wir Städte schaffen, die klimaneutral sind. Wenn Architektur das hinkriegt, ist sie gelungen.
Sie planen im Auftrag eines landeseigenen Wohnungsbauunternehmens ein Wohnquartier direkt an der Havel. Dabei sollen neue Standards fürs Wohnen gesetzt werden, wie Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit. Was heißt das genau?
Die Vorgabe ist, dass das Projekt energetisch nachhaltig bewirtschaftet werden kann. Waterkant Berlin hat dafür bereits ein Vorzertifikat in Platin erhalte. Wir haben unter anderem ein Mobilitätskonzept entwickelt mit einer quartierseigenen Sharingstation, es ermöglicht, den Individualverkehr um 25 Prozent herunterzufahren. Zum großen Teil werden dort Sozialwohnungen entstehen.
Das Quartier ist eines der größten Wohnungsbauprojekte der Stadt. Ziel ist es, ein lebendiges Viertel aus einem Guss zu entwickeln. Funktioniert das?
Große Quartiere zu bauen, ist immer eine besondere Herausforderung. Viele Beispiele aus den 1960er- und -70er-Jahren zeigen uns, dass da schon vieles schiefgegangen ist. Riesige weit auseinander stehende Wohnblöcke wie in Marzahn-Hellersdorf können nicht die soziale Verdichtung bieten, die Menschen schätzen. Es fehlen Orte, an denen kurze Begegnungen möglich sind. Das kleine Café, der Bäcker oder der Zeitungsladen um die Ecke. Im Waterkant Berlin wird jeder Wohnblock einen öffentlichen Raum mit Küche und Außenbereich bekommen. Es liegt dann nur noch an den Bewohnern, diesen mit Leben zu füllen.
Von den etwa 2 500 geplanten Wohnungen ist die Hälfte belegungsgebunden. Was bedeutet das für die Planung, auch in Bezug auf den Spielraum bei den Baukosten?
Die Baukosten sind eng kalkuliert. Förderfähig werden sogar mehr als 50 Prozent. Die Grundrisse sind extrem ausgetüftelt und entsprechen den Förderrichtlinien. Da ist schon jeder Stein umgedreht worden, um die Baukosten niedrig zu halten.
Wie wirkt sich das auf die Optik aus?
Wir gehen sehr rational vor und müssen uns bei den Materialien zurückhalten. Es wird Putzfassaden geben, keine innenliegenden Entwässerungsrohre und optimierte Fensterflächen. Dafür arbeiten wir mehr mit Farben und Grafik, um die Häuser zu individualisieren und ihnen etwas Unverwechselbares zu verleihen.
Wie stellen Sie sich die künftigen Bewohner vor?
Es wird eine starke Mischung sein. Wir bauen Ein- bis Vierzimmerwohnungen für Familien, Paare, Singles, Senioren und Menschen mit eingeschränkter Mobilität.
Welche Möglichkeiten haben Architekten heute, um eine Stadt wie Berlin, die sich baulich rasant entwickelt, so zu gestalten, dass die Bewohner sich wohlfühlen?
Auf den Schultern der Architekten lastet viel Verantwortung, aber auch auf denen der stadtplanerischen Institutionen. Wohnen ist teurer geworden und manch einem zu teuer. Darauf müssen wir reagieren. Eine Lösung wäre die Verkleinerung der Wohnungen, bei gleichzeitiger Verbesserung der Infrastruktur. Freiräume müssen intensiver genutzt werden. Ein gutes Beispiel ist der Park am Gleisdreieck mit Gärten und Sportanlagen für alle Altersgruppen. Es muss keine Verschlechterung der Lebensqualität bedeuten, wenn die Menschen mehr zusammenrücken. Im Gegenteil, wenn Flächen gut genutzt werden, sind Begegnungen möglich und es kommt zu einer Verbesserung der Lebensqualität.
In der Gropiusstadt entwickeln wir gerade ein Wohnhochhaus an einer Stelle, an der ein zweistöckiges Parkhaus stand. Es gab zunächst einen großen Aufschrei bei den Anwohnern. Schließlich verlieren die Leute ihren Parkplatz, es gibt Baulärm, Staub und auf den ersten Blick störende Dichte. Aber es entstehen gleichzeitig Freianlagen und eine Gartenküche für Feierlichkeiten oder andere Zusammenkünfte für die gesamte Nachbarschaft. Der Neubau ermöglicht nachbarschaftliches Leben. Wir müssen die Abstände, an die wir uns gewöhnt haben, noch einmal hinterfragen und mehr direkte Kommunikation zulassen. Denken wir nur an das Hinterhofleben im 19. Jahrhundert.
Für fast jedes Bauprojekt werden schillernd klingende Namen erfunden. Berlin ist mittlerweile voll von Quartieren, Gardens, Palais, Parks, Villen... Glauben Sie, die Bewohner finden das gut?
Berlin hatte immer eine bescheidene Grundhaltung, von der verabschiedet sich die Stadt jetzt leider. Kein Engländer würde die Namen verstehen und die meisten Deutschen auch nicht. Diese Namen lenken ab und gaukeln etwas vor. Ich habe Sympathie für Namen, wenn sie den Objekten tatsächlich Identität geben. In Wirklichkeit steht Berlin ganz weit hinten und muss viele Entwicklungen vollziehen, die andere schon hinter sich haben. Oder sich hart dafür einsetzen, dass es nicht zu solchen Entwicklungen kommt wie in anderen Städten. Erst einmal ist Arbeit erforderlich. Stolz auf das Erreichte kann man vielleicht später sein.
Besonders im Osten der Stadt ist in den letzten zehn Jahre viel neuer Wohnraum entstanden. Und es wird weiterhin gebaut, weil es immer mehr Menschen in die Städte zieht. Denken Sie, dass Berlin auf den Wachstumskurs richtig vorbereitet ist?
Auf der Architekturbiennale Venedig 2008 war Berlin als schrumpfende Stadt abgebildet. Man war der Überzeugung, dass die Stadt zu viele Wohnungen hat und Schulen geschlossen werden müssen. 100 000 Wohnungen standen leer. Und die landeseigene GSW mit 65 000 Wohnungen war da bereits verkauft. Es ist aber eine phänomenale Veränderung eingetreten und nun das Gegenteil der Fall.
Ich habe Zweifel daran, dass da ein Eingreifen in den Markt mit Enteignungen und Mietpreisbremse erfolgreich sein wird.
Es müssen Wohnungen gebaut werden, die erschwinglich sind. Berlin ist immer noch Mieterstadt. In einigen Bezirken liegt die Mieterquote bei 85 Prozent. Das gibt es in ganz Europa nicht.
Was halten Sie von dem Trend, im Umland und am Rand zu bauen?
Das ist teuer, denn die Infrastruktur ist nicht vorhanden. Es wäre besser, dichter, höher und kompakter zu bauen und die Stadt auch für geringere Einkommen offen zu halten. Es müssen mehr Hochhäuser gebaut werden. In 200 Jahren könnte Berlin eine Hochhausstadt sein.
Welche Bauten in Berlin finden Sie besonders gelungen?
Ich mag das GSW-Hochhaus von Sauerbruch-Hutten, die Reichstagskuppel von Norman Foster ist ein richtiger Glücksfall für Berlin und der Pei-Anbau des Deutschen Historischen Museums wird einmal kulturhistorische Bedeutung haben.
Und welche weniger?
Ich könnte an fast jeder Straßenecke verzweifeln. Aber das hilft auch nicht, Städte verändern sich mit Beharrlichkeit und über Generationen. In den 90er-Jahren wurde es immerhin geschafft, das geschundene Berlin stark zu verbessern und die Stadt neu zu sortieren. Der Potsdamer Platz ist entstanden. Die Heidestraße entwickelt sich, der Alex und die City West sind auf dem besten Weg. Die Gegend um den Axel Springer Verlag hat jetzt eine grandiose Lage. Sozialbrachen werden nicht mehr akzeptiert. Alle Städte sind in den letzten Jahrzehnten stark verbessert worden und blühen geradezu auf. Bei aller Verzweiflung – wir erleben eine Renaissance der Stadtkultur.
Danke für das Gespräch.
Ina Hegenberger