Der alte Güterbahnhof Grunewald ist mit seinen 14 Hektar Fläche ein heißer Kandidat für den Berliner Wohnungsbau. Im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf herrscht Einigkeit darüber, den Ort zum städtebaulichen Entwicklungsgebiet zu erklären. Baustadtrat Oliver Schruoffenegger (Grüne) kann sich vor Projektanfragen kaum retten. Doch er lehnt alle ab. Das Gelände liegt zwar direkt an der Autobahn A115, der AVUS. Aber es ist nicht erschlossen. Nur eine Unterführung aus westlicher Richtung vom Messegelände steht zur Verfügung mit zu geringer Höhe für die Feuerwehr.
Erst der Umbau des Autobahn-Dreiecks Funkturm scheint für Projektentwickler und Politiker eine Lösung zu versprechen. Der ganze Kreuzungspunkt wird in den nächsten Jahren neu geordnet. Mehr als das, ist eine Deckelung der Autobahn im Gespräch. Die Trasse führt schon heute mehrere hundert Meter im Trog. Oben drüber könnte ein Deckel neuen Stadtraum schaffen und die umliegenden Kieze besser verbinden (Messegelände, Halensee, Lietzensee). Ülker Radziwill (SPD) hat im März dazu eine Petition gestartet. Schon im letzten Jahr traf eine von den Grünen ins Spiel gebrachte Machbarkeitsprüfung auf fraktionsübergreifende Zustimmung. Alle wollen den Deckel. Die Vorbereitungen für den Umbau, der ein Projekt des Bundes ist, haben bereits im Oktober begonnen, das Planfeststellungsverfahren soll aber frühestens 2021 beginnen. Deshalb wird wohl auch der Dornröschenschlaf des Güterbahnhofs Grunewald noch etwas andauern.
Zur Fusion der durch Bahn und Straßen getrennten Stadtteile soll auch der geplante Westkreuzpark beitragen, ein Projekt des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen. Gemeinsam arbeiten sie auf den Park hin, entgegen den alten Wohnungsbau-Plänen des Investors Christian Gérome. Der Bezirk hat sogar sein Vorkaufsrecht gebraucht und das Gelände von der Deutschen Bahn erworben, die es an den neuen Investor Uwe Glien verkauft hatte. Die von Senatorin Katrin Lompscher (Linke) im März angekündigte Änderung des Flächennutzungsplans (pro Grünfläche) kam bisher aber nicht zustande. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) fordert, dass die fast sieben Hektar große Westkreuzbrache zumindest an den Rändern bebaut wird. Ein Park würde dagegen die Eingangssituation von der Neuen Kantstraße (Lietzenseepark) in die Grunewaldseenkette (Halensee) verbessern.
Noch ein Park für Berlin? Die Berliner bestätigten 2018 in einer Umfrage der „Charta für das Berliner Stadtgrün“, wie wichtig ihnen die Parks sind. Für 85 Prozent sind sie die am häufigsten genutzte Art von Grünanlagen in der Stadt. Danach kommt der Wald (61 Prozent) auf Platz zwei. Berlin hat Wälder! Knapp ein Fünftel der Stadtfläche ist mit Wald bedeckt. Der Grunewald ist zwar nicht der größte. Vor vier Jahren hat er allerdings die Aufmerksamkeit des Bundes Deutscher Forstleute erregt. Wegen seines ökologischen Reichtums und der hohen Zahl der Besucher kürten sie ihn 2015 zum „Waldgebiet des Jahres“. Etwa 100 Millionen Menschen besuchen ihn jährlich. Und sehen: der Grunewald ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Das ist im positiven Sinne zu verstehen. Herabgefallene Äste und moosbewachsene Baumstämme liegen umher. Es gibt Flächen, die absichtlich nicht bewirtschaftet werden. Weil es besser für die Biotope ist. Berlin verfolgt ein Mischwaldprogramm. Im Grunewald stehen heute zu zwei Dritteln märkische Kiefern, nur 20 Prozent der Bäume sind Eichen. Ihr Anteil soll sich erhöhen, denn unter Laubwäldern kann mehr Trinkwasser gewonnen werden. Und die Eiche leistet beim kommenden Klimawandel im Metropolenwald mehr als die Kiefer. Sie ist hitzeresistenter.
Dass der Wald in Berlin in Zeiten des Bau-Booms trotzdem nicht heilig ist, zeigen die Fällpläne für den beschleunigten Wohnungsbau von Senatorin Lompscher. Seit letztem Jahr können auf Baugrundstücken Bäume gefällt werden, schon bevor eine Baugenehmigung erteilt wird. Damit hat sich Lompscher bei den Waldfans keine Freunde gemacht. Einen RBB-Bericht kommentiert ein Leser sarkastisch mit den Worten: „Ich empfehle, den Grunewald zu roden, besonders an der Havelchaussee.“ Doch selten wird Wald wirklich entwidmet. Etwa 65 000 Quadratmeter sind in ganz Berlin seit 2006 in Bebauungspläne umgewandelt worden, antwortet die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz auf eine Anfrage der Abgeordneten Katalin Gennburg (Linke). Das entspricht ziemlich genau der Fläche des Güterbahnhofs Grunewald.
Auf dem Teufelsberg geschah sogar das Gegenteil. Das Gelände mit der Abhöranlage der Amerikaner wurde 2004 als Waldgebiet ausgewiesen, nachdem die Investorengemeinschaft Teufelsberg (IGTB) mit dem Bau eines Hotels mit Luxuswohnungen und Tagungszentrum um die Jahrtausendwende gescheitert war. Seitdem gibt es dort oben kein Baurecht (auch nicht für die Maharishi-Weltfriedens-Stiftung, die mit US-Regisseur David Lynch als Zugpferd wenig später eine „Universität der Unbesiegbarkeit“ bauen wollte). Zwei Initiativen ringen um die Zukunft des Gipfels. Ein Aktionsbündnis fordert den Abriss der Abhöranlage, träumt davon, den Gipfel aufzuschütten und den Teufelsberg in seiner ursprünglichen Planung (von 1950) als Aussichtsort für die Grunewald-Havel-Landschaft zu vollenden. Die Initiative Kulturdenkmal Teufelsberg streitet dagegen für den Erhalt der Abhöranlage und verweist auf die weltpolitische Bedeutung im Kalten Krieg. Sie wird gefeiert haben, als das Landesdenkmalamt im November die amerikanische „Field Station“ von 1962 offiziell zum Denkmal erklärte.
Die Nutzung dieses Walddenkmals bleibt weiter offen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, den Teufelsberg als Erinnerungs- und Naturort öffentlich zugänglich zu machen. Die Grünen wollen ihn vor allem als Gedenkort entwickeln. Frank Jahnke, kultur- und wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, befürwortet eine Ausstellung zur Geschichte und Erlebnisgastronomie. Anders die CDU: Sie möchte aus dem Teufelsberg ein Sport- und Erholungszentrum machen und fordert auch den Rückkauf des Grundstücks durch das Land Berlin. Die AfD hat vorgeschlagen, eine Seilbahn den Teufelsberg hinauffahren zu lassen. Es war die Idee von Kristin Brinker, finanzpolitische Sprecherin der Partei, als das Abgeordnetenhaus im Oktober die Einbindung der Marzahner IGA-Seilbahn in den ÖPNV diskutierte. Der Pächter Marvin Schütte betreibt auf dem Gelände eine Künstlerkolonie. Seit Mai 2018 ist das Hauptgebäude der Anlage auf Anweisung des Bezirks für Besucher gesperrt.
Unten auf der Avus ist von dem Gerangel um den Teufelsberggipfel nichts zu sehen. Einzige sichtbare Baustelle ist die Avus-Tribüne, und die bemerken Autofahrer ohnehin nur für einen kurzen Moment. Seit 2018 fehlt das Dach des Gebäudes, das der Berliner Investor Hamid Djadda zur Ausstellungs- und Eventlocation umbaut. Zum 100-jährigen Avus-Jubiläum 2021 wird das Dach wieder drauf sein. Bis dahin könnten vielleicht auch der elf Kilometer lange, die Autobahn begleitende Radschnellweg Nr. 3 „Königsweg-Kronprinzessinnenweg“ zwischen Halensee und Wannsee gebaut sein und die denkmalgeschützte Kult-Raststätte Dreilinden eine Nachnutzung gefunden haben; der sauerländische Investor Werner Scharwächter hat zwar für sein geplantes Oldtimer-Haus nach jahrelangem Ringen um Ideen und Genehmigungen grünes Licht für das Projekt. Plötzlich will er aber Dreilinden wieder verkaufen. Das sollte er sich noch mal überlegen. Die Regionalbahn kommt. Mit dem Investitionsprogramm 2030 haben Berlin und Brandenburg beschlossen, die Potsdamer Stammbahn zu reaktivieren. Die Strecke über Zehlendorf, Kleinmachnow und Griebnitzsee wird auch Dreilinden tangieren. Der Grunewald ist von dort aus nicht weit.
André Franke