Berlin ist ein Zentrum der deutschen Cannabiswirtschaft. Produziert wird von Nutz- und Industriehanf bis hin zu Medizinal- und Kosmetikprodukten.
Die allgemeine Freigabe von Cannabis als Genussmittel wurde als eines der Ziele im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP im November 2021 vorgestellt. Jetzt ist es soweit, dass das Projekt fachlich in Vorbereitung geht, sodass in der zweiten Jahreshälfte ein erster Gesetzentwurf vorliegen könnte. Jürgen Neumeyer ist Geschäftsführer des Branchenverbands Cannabiswirtschaft e. V. Für ihn ist klar: „So ein Gesetzgebungsverfahren dauert seine Zeit. Deshalb rechnen wir eigentlich nicht vor 2024 mit einem neuen Gesetz zur Legalisierung“. Man merkt ihm an, dass er es gewohnt ist, dicke Bretter zu bohren. Die Legalisierung ist in der deutschen Öffentlichkeit nach wie vor umstritten. Es gibt Bedenken hinsichtlich noch unzureichend erforschter Langzeitwirkungen oder der Gefahr einer Einstiegsdroge, die zum Konsum anderer Drogen führen könnte. Auch warnen Psychiater davor, dass in einigen Fällen Psychosen verstärkt oder erst ausgelöst werden könnten. Gerade junge Leute müssten deshalb geschützt werden.
Cannabis ist eine uralte Heil- und Genusspflanze. Seit dem 2. Jahrtausend vor Christus wird die Pflanze medizinisch eingesetzt. Noch bis in die 1920er-Jahre hinein wurden sogar fast 80 Prozent aller Schmerzmittel noch aus Hanf erzeugt. Erst später wurden sie durch Morphine und Opiate verdrängt. Synthetisch erzeugte Substanzen kamen vermehrt hinzu. Cannabis führte über Jahrzehnte ein Schattendasein weitgehend in der Illegalität.
Vor fünf Jahren kam dann ein Durchbruch im medizinischen Bereich. Patienten mit schweren Erkrankungen haben seit 2017 unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Cannabis. Jeder Haus- und Facharzt darf seitdem getrocknete Cannabisblüten und -extrakte sowie Arzneimittel mit den Derivaten Dronabinol und Nabilon auf Antrag verordnen. Gerade in der Schmerz- und Palliativmedizin wird diese Möglichkeit vielfach genutzt, wenngleich die Ablehnungsquote mit bis zu 40 Prozent vergleichsweise hoch ist. Die medizinischen Wirkungen von Hanf beruhen vor allem auf den Inhaltsstoffen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). THC wird eine berauschende und entspannende Wirkung zugeschrieben. Darüber hinaus kann es Brechreiz dämpfen. CBD, vor allem als Tropfen auf dem Markt, kann Angst lösen und Entzündungen hemmen. Jürgen Neumeyer vom Verband der Cannabiswirtschaft erklärt: „Neben THC und CBD gibt es noch über 100 weitere bekannte Inhaltsstoffe der Hanfpflanze. Viele sind noch gar nicht erforscht“. Darüber hinaus könne es auch medizinisch relevante Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bestandteilen geben. „Wir sind auf eine öffentliche Forschungsförderung angewiesen, denn die Stoffe sind ja nicht patentierbar“.
Zu den wichtigsten Startups auf dem Gebiet gehört die Berliner Sanity-group. Unter verschiedenen Marken entwickelt, vertreibt und erforscht die Unternehmensgruppe Hanfprodukte. Darunter sind Medizin- und Kosmetikprodukte sowie Zubehör wie Inhalatoren. Geschäftsführer Finn Hänsel ist vor allem von der medizinischen Bedeutung der Hanfpflanze überzeugt. „Bereits heute gibt es eine gute Stu-dienlage in verschiedenen Bereichen, wie Schmerz, ADHS, Schlafqualität, Stress-Symptome bis hin zum Tourette-Syndrom, zu Appetitlosigkeit und Epilepsie“, sagt er. Verbandsvertreter Jürgen Neumeyer kann das nur bestätigen. Im Bereich des Medizinalcannabis habe es teilweise hohe Wachstumsraten gegeben. „Dabei werden trotz verschiedener einschlägiger Arzneiprodukte vor allem die Blüten verschrieben, die von den Patienten zumeist in Inhalatoren verdampft werden“, so Neumeyer. Die meisten Rohstoffe kommen dabei immer noch aus dem Ausland. In Deutschland gibt es nur drei zugelassene Cannabisanlagen. Das Berliner Unternehmen Demecan, das auch mit Medizinalcannabis handelt, betreibt eine von ihnen. Zieht man eine Bilanz, die fünf Jahre Cannabisgesetz betreffend, dann hat Jürgen Neumeyer einige Vorschläge, was in Zukunft besser laufen könne. „Die Ablehnungsquote ist einfach zu hoch, auch das Kriterium der Austherapiertheit halten wir für nicht sinnvoll“, sagt er. Insgesamt gebe es zu viel bürokratischen Aufwand, was immer noch viele Ärzte abschrecke, Cannabisprodukte zu verordnen. Ärzteschaft, Apotheken und Patienten besser vernetzen, will daher das Software-Unternehmen Copeia mit Sitz in Köln und Berlin. Über eine unabhängige Plattform soll die Therapie mit cannabinoidhaltigen Arzneimitteln einfacher werden.
Karen Schröder