Mit Karacho durchbricht der Trabbi die Mauer, als sei sie nur aus Papier – und er trägt dabei keinen einzigen Kratzer davon. Eine wunderbare Metapher für den friedlichen Übergang des Ostens in den Westen. Das Bild trug damals den ironischen Titel „Test the best“ , heute steht „Test the rest“ darüber. Die Malerin Birgit Kinder hat sich bei der Restaurierung ihres eigenen Werkes diesen Scherz erlaubt. Übrigens war der Trabbi-Durchbruch auch ihr künstlerischer Durchbruch, sie wurde eine vielgebuchte Wand- und Illusionsmalerin. Der „Trabbi“ ist eines der bekanntesten Bilder der East Side Gallery, das auf die Reste der Berliner Mauer zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke gemalt wurde. 118 Künstler aus 21 Ländern hielten im Frühjahr 1990 ihre Gefühle und Gedanken zu den politischen Veränderungen fest. Und diese längste Galerie der Welt wurde eine Touristenattraktion für Berlin. Scharen von Besuchern sieht man, mit Fotoapparaten ausgestattet, dieses Mauerstück entlangspazieren. Doch dieses Stück Mauer wurde auch zum Zankapfel – das haben vielleicht Mauern so in sich. Schon zu Anfang trat die Frage auf: Was wird mit den Kunstwerken passieren? In alle Welt schicken und danach versteigern – war eine Idee. Doch das Mauerstück blieb zu Hause und wurde unter Denkmalschutz gestellt. Doch Sonne und Regen, Mauer-Picker, die sich ein kostenloses Souvenir einsteckten, Graffiti-Sprayer setzten dem Denkmal zu. Eine Mauer hält eben nicht ewig. 2000 wurde sie saniert, der Beton geglättet, einige Bilder mit Speziallack überzogen, damit man neue Graffiti leichter entfernen konnte, einige Bilder restauriert. Doch auch diese Maßnahme war nicht für die Ewigkeit. 2009 ging man erneut ans Werk. Und da kommen Karin Kaper und Dirk Szuszies ins Spiel. Die Filmemacher hielten den gesamten Prozess der erneuten Sanierung fest. „Weil es von historischer Bedeutung ist, dass dieses Stück gerettet werden muss“, sagt Karin. Und sie bedauert ein wenig, dass dieses spontane Element, die Aktion, der Enthusiasmus, den die Künstler und auch alle Verantwortlichen damals an den Tag legten, verloren gegangen ist. Der Dokumentarfilm „Berlin East Side Gallery – Der Film“ erzählt die aktuelle Geschichte des Kunstwerks, blickt aber auch auf die Anfänge zurück.
Die Künstler gingen 2009 selbst ans Werk, ihre eigenen Arbeiten zu restaurieren. Ein umstrittenes Ansinnen, welcher Maler ist nicht versucht, seine Arbeit von einst neu zu interpretieren oder zu verändern. Ganz radikal war der Pop-Art-Künstler Jim Avignon. Er übermalte seinen kalten Krieger von damals mit Spekulanten von heute. Eine Welle der Empörung schlug ihm entgegen. „Das ist“, meinte damals Birgit Kinder, „als würde man ein klassizistisches Landschaftsbild überpinseln, nur weil jetzt überall Windräder stehen.“ Auch sie zog damals mit dem Farbeimer los und machte den Trabbi wieder schick – und erlaubte sich die eingangs erwähnte kleine Titeländerung. Doch das war nur ein Aspekt. Einige Künstler fühlten sich finanziell betrogen, schließlich warb Berlin erfolgreich mit ihren Werken. Derweil sich die Künstler auch um die Kunst stritten, handelten Politik und Wirtschaft. „Das erste große Stück“, erzählt Karin Kaper, „wurde schon herausgebrochen, damit man auch über die Spree die ‚O2-World‘ erreichen kann.“ Die jüngsten Proteste gegen die Entfernung einiger Mauersegmente, um dort ein Hotel hinzusetzen, sind noch gut in Erinnerung. Aber das Spreeufer scheint zu attraktiv und lukrativ – da muss finanziell mehr rauszuholen sein als ein authentisches Stück Erinnerung. Der Streit wird nicht verebben. Die Filmemacher haben akribisch recherchiert, viele Künstler interviewt. Und sie haben auch Betonbauer, Handwerker mit der Kamera beobachtet, die einfach den Malgrund der Künstler, die Mauer, zu retten versuchten. Oder den Putzwahn einer Firma, die ständig die Bilder von Graffiti säuberte. Sie blieben chancenlos, wie man heute wieder sehen kann. Und die Filmemacher erweiterten die „East Side Gallery“ um die „West Side Gallery“. Denn auch auf der Westseite wurde die Mauer zum Kunstobjekt. Sie haben Künstler gefunden, die ihre Bilder auf den Beton verewigten – allerdings immer in Angst. „Schließlich konnte jeden Moment ein Grenzer kommen – und denen wollte man nicht begegnen“, schildert ... die Situation einer Westberliner Künstlerin. 220 Stunden Filmmaterial liegen nun auf dem Schneidetisch von Szuszies und Kaper. Geschichten über Geschichten – und die gilt es nun zu 100 Minuten Film zusammenzufügen.
Martina Krüger
Information
BERLIN EAST SIDE GALLERY
Kinodokumentarfilm von Karin Kaper und Dirk Szuszies anlässlich des 25-jährigen Bestehens der East Side Gallery im Jahr 2015
Vorpremiere
6. Januar 2015 im Kino Babylon Berlin-Mitte
Bundesweiter Kinostart
8. Januar 2015