Fahrradfahren ist gesund und preisgünstig, verursacht weder Lärm noch Abgase und macht einfach Spaß, zumindest denen, die es betreiben. Und den Radlern selbst fallen mit Sicherheit noch wesentlich mehr Gründe ein, sich mehr oder weniger sportlich in der Stadt fortzubewegen: von der Freiheit, sich den Wind um die Nase wehen zu lassen bis hin zum Stressabbau, z. B. nach der Arbeit. Ganz abgesehen vom Fitnessfaktor.
Es gibt aber auch Menschen, die sich nicht auf ein Fahrrad trauen, weil sie sich im Straßenverkehr unzureichend sicher fühlen. 2015 gab es in Berlin über 7 700 Verkehrsunfälle mit Radfahrerbeteiligung, knapp die Hälfte davon nicht von den Radlern selbst verursacht. Zehn Fahrradfahrer haben ihr Leben verloren. Andere Verkehrsteilnehmer, nämlich Fußgänger und Autofahrer, fühlen sich von Radfah-rern zuweilen gestört, zumindest von einigen. Für alle drei Verkehrsteilnehmer gilt, dass sie den zur Verfügung stehenden Straßenraum gemeinsam nutzen. Und da dies auch so bleiben wird, es immer mehr Fahrradfahrer in Berlin gibt, steht die Frage im Raum, wie sich die Situation verbessern ließe.
Mehr Rücksichtnahme seitens aller Verkehrbeteiligten wäre eine wünschenswerte Maßnahme, dies dürfte Konsens sein. Was sich aber nicht so einfach umsetzen und noch weniger verordnen lässt.
Der Verein „Netzwerk Lebenswerte Stadt“ hat sich daher zum Ziel gesetzt, über einen Volksentscheid einen Richtungswechsel in Sachen Fahrradstadt Berlin einzuläuten. Dazu haben die Verantwortlichen zehn Ziele formuliert, die die Fahrradin-frastruktur kinder- und senioren-gerechter, den Verkehr sicherer und Berlin damit lebenswerter machen sollen. Dazu gehört, gefährliche Kreuzungen, Unfallquelle Nummer eins für Fahrradfahrer, sicher umzubauen. Oder zwei Meter breite Radwege an Hauptstraßen und sichere Abstellmöglichkeiten zu schaffen. Weiterhin bis 2025 100 km lange Radschnellwege durch und um die Stadt einzurichten, außerdem 350 km Fahrradstraßen, dabei diese zum Teil so umzusetzen, dass insbesondere Einrich--
tungen für Kinder und Jugendliche, wie Schulen und Sportplätze, sicher erreichbar sind.
Die erste Etappe, der Antrag auf ein Volksbegehren, ist bereits genommen; statt der erforderlichen 20 000 sind bereits mehr als 105 000 Unterschriften gesammelt worden. Grund genug, mit den Berliner Politikern über dieses Thema verstärkt ins Gespräch zu kommen.
Bürgermeister Michael Müller befindet das Anliegen, mehr für Fahrradfahrer zu tun, für gut, weil Umwelt und Lebensqualität davon profitieren, die Oppositionsparteien haben bereits ihre volle Unterstützung bekundet. Aber auch der ADFC, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club Berlin e.V., unterstützt den Volksentscheid Fahrrad.
Bei aller Euphorie der engagierten Radler müssen die Autofahrer natürlich im Fokus bleiben, denn nur wenn beide Lager sich ausreichend vertreten fühlen, rückt eine entspannte Verkehrssituation in erreichbare Nähe.
Der VCD, Verkehrsclub Deutschland, setzt sich ja schon von Hause für eine umwelt- und sozialverträgliche Mobilität ein. Der VCD Nordost hat nun auch ein Positionspapier zur Förderung des Radverkehrs in Berlin herausgebracht, das sich mit vielen Zielen deckt, die auch das „Netzwerk Lebenswerte Stadt“ hat.
Und vielleicht ist es an dieser Stelle auch mal eine Überlegung wert, ob es für den einen oder anderen Wenig-Autofahrer in Berlins City denn wirklich noch notwendig ist, über ein eigenes Vehikel zu verfügen, wenn Carsharing inzwischen an fast jeder Ecke der Innenstadt möglich, unkompliziert zu buchen und kostensparend ist. Dies könnte zumindest Berlins Zentrum um viele Parkplätze entlasten und damit um wertvolles Straßenland bereichern. Inzwischen gibt es sogar schon Mopeds, die auf diese Weise gemietet werden können: eMio, ein Berliner Start-up-Unternehmen. Abgesehen davon würden die motorisierten Zweiradfahrer von einer weniger angespannten Verkehrssituation sicher auch profitieren.
Die Entscheidung, die Forderungen in Gesetzesform zu bringen, wie vonHeinrich Strößenreuther gewünscht, hängt sicher hauptsächlich an der Finanzierbarkeit. Auch wenn die Initiative jetzt schon von 135 Millionen Euro Einsparungen wie z. B. schnelleren BVG-Bussen spricht, die den 392 Millionen Euro Ausgaben entgegenstehen.
Annette Kraß