Berlin-Macher Hubertus Knabe

Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Hubertus Knabe.

Es gibt sicherlich attraktivere Arbeitsplätze in Berlin. Und doch herrscht dort an diesem Freitagnachmittag, als andernorts bereits das Wochenende angefangen hat, noch große Betriebsamkeit. Überall sieht man Besuchergruppen, die kurz auf einer der trostlosen Freiflächen erscheinen und dann wieder in einem der beklemmenden Ge­bäude verschwinden. Zu DDR-Zei­ten war hier ein, ja der Ort des Schreckens, für Tausende unschuldiger Menschen Folter, psychische wie physische, an der Tagesordnung. Heute erinnert an der Genslerstraße 66 die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen an die oftmals unmenschlichen Haftbedingungen des Untersuchungsgefängnisses der Staatssicherheit (MfS). In einem der Gebäude im dritten Stock „ganz hinten rechts“ sitzt Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte. Er ist der Motor des Ganzen und unermüd­licher Mahner wider Verharmlosung und Vergessen der Stasi-Verbrechen.

„Erst wenn die kommunistische Diktatur den Deutschen ähnlich präsent ist wie das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten, ist die Aufarbeitung der Hinterlassenschaften von Stasi-Minister Erich Mielke wirklich gelungen“, hat der promovierte Historiker unlängst in einem Beitrag für „Spiegel online“ geschrieben. Dabei ging es darum, wie die Aufarbeitung der Stasi-Akten neu organisiert werden könnte. Dass sich Knabe mit derlei Ansinnen nicht nur Freunde macht, versteht sich von selbst. Der letzte Versuch, ihm das Leben schwer zu machen und ihn in Misskredit zu bringen, ist relativ aktuell und auch noch ziemlich dreist dazu.

Im Januar dieses Jahres erscheint in der „Berliner Zeitung“ ein zweiseiti­ges „Porträt“, das wenig Schmeichelhaftes über den Gedenkstätten-Direktor berichtet. Dass ausgerechnet ein gewisser Thomas Leinkauf den Artikel als verantwortlicher Redakteur ins Blatt hebt, der nach Recherchen der Tageszeitung „Die Welt“ von 1975 bis 1977 als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) „Gregor“ für das DDR-Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat, gibt der Angelegenheit eine ganz besondere Note.
Doch diese Veröffentlichung war und ist nicht der einzige Versuch, die Arbeit Knabes zu verunglimpfen. Und es wird sicherlich auch nicht der letzte gewesen sein. „Es gibt mächtige Kräfte, denen die Aufarbeitung ein Dorn im Auge ist“, weiß der 1959 in Unna geborene Vater von zwei Kindern. Die Gedenkstätte sei ein „Leuchtturm der Aufklärung“ und er für diese Leute die „Hauptfigur“.

Während der Gedenkstättenleiter das sagt, hat man nicht den Eindruck, dass er diesen Status besonders genießt. Vielmehr spürt man förmlich die „gro­ße Verantwortung“, die Knabe für die Opfer empfindet, für die, „die keine Stimme und keine Lobby“ haben.
Wenn Knabe so von seiner Arbeit erzählt, merkt man, dass dies hier für ihn nicht nur ein Job ist. Gleichzeitig ist es, so empfindet auch er es, „schon komisch, dass der einzige in der Familie, der im Westen geboren ist, sich mit diesen Themen beschäftigt.“ Angesichts seiner Lebensgeschichte allerdings ahnt man sehr, warum sich der Historiker all den sicher auch seine Frau und seine Kinder belastenden  Anfeindungen aussetzt.

Als sein älterer Bruder 1959 in die Schule soll, flüchten seine Eltern aus der DDR und kommen erst einmal bei einer Tante in Unna unter. In der nord­rhein-westfälischen Stadt erblickt Knabe das Licht der Welt, wächst dann aber später in Mülheim an der Ruhr auf und macht dort 1978 Abitur. Sein Vater, der Ökologe Wilhelm Knabe, gehört zu den Mitbegründern der Partei „Die Grünen“. Auch er selbst engagiert sich früh bei der neuen Partei und in der Friedensbewegung. In Bremen, wo er Geschichte und Germanistik studiert, gründet er 1978 ein Komitee für die Freilassung des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro.
In dieser Zeit ist es auch gewesen, dass er angefangen hat, über DDR-Themen zu schreiben. Unter dem Pseu­donym Klaus Ehring veröffentlicht er als Co-Autor das Buch „Schwerter zu Pflugscharen, Friedensbewegung in der DDR“. Während einer seiner vielen Reisen in die DDR lernt er dort seine spätere Frau kennen – und die Segnungen des real existierenden Sozialismus: Einreiseverbot von 1980 bis 1987. Die Gefühlswelt Knabes zu dieser Zeit ist leicht nachzuvollziehen: Mauer – Trennung – Liebe.

Währenddessen nehmen die geschichtlichen Geschehnisse ihren Lauf. Und selbst, als ihn Anfang 1989 Berichte erreichen, die Stimmung in der DDR sei schlecht und die Leute hätten das System satt, bleibt Knabe skeptisch. „Ich habe bis zum Schluss nicht daran geglaubt, dass die Mauer fallen würde“, erinnert er sich. Das System sei ihm ziemlich stabil erschienen. Doch die Dinge entwickeln sich anders, das Ergebnis ist bekannt.
Aber die Freude über die Wiedervereinigung weicht bald fassungsloser Ernüchterung. Von 1992 bis 2000 arbeitet Knabe in der Forschungsstelle des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und ist „erschrocken über das Ausmaß der Stasi-Tätigkeit im Westen“. Auch entschließt er sich, selbst Akteneinsicht zu nehmen. „Ich fiel aus allen Wolken“, macht er keinen Hehl daraus, einer völligen Verkennung der Umstände erlegen zu sein. Er habe gedacht, er hätte In­formanten des DDR-Systems an der ­Nasenspitze erkennen können. Doch weit gefehlt.

Seitdem ist Knabe misstrauischer geworden, hat ihn die Fülle der Anfeindungen in seiner Arbeit vorsichtiger werden lassen. Leider, mag man hinzufügen. Auch ihn schmerzt das sichtbar. Doch die Widerstände, die seiner Arbeit entgegengebracht werden, „setzen immer wieder neue Kräfte frei“, um durchzuhalten und dem Vertrauen der Opfer gerecht zu werden.
Auf dem Gelände der Gedenkstätte herrscht an diesem Freitag auch zu später Stunde immer noch ein reges Kommen und Gehen. Im vergangenen Jahr waren es alleine 200 000 Be­sucher, die Hälfte davon Schüler, von denen nach einer Berliner Studie rund 50 Prozent noch nie etwas von Willi Stoph oder Egon Krenz gehört haben und davon überzeugt sind, „die Stasi war ein Geheimdienst, wie ihn jeder Staat hat“. Angesichts dessen ist die Mo­tivation der ehemaligen Häftlinge, die die Besucher durch die Gedenkstätte führen, ungebrochen. Und es ist für sie – ebenso wie für Hubertus Knabe – eine Genugtuung, dass ihr Leid ­wenigstens im nachhinein einen Sinn bekommt.

Detlef Untermann

 

 

Buchtipp

Hubertus Knabe: Die ­Täter sind unter uns.
Über das Schönreden der SED-Diktatur.

Propyläen Verlag, ISBN 9783549073025,
384 Seiten, 22 Euro, oder als Taschenbuch
ISBN 9783548608181, 9,95 Euro.

 

35 - Sommer 2008