Gespräch mit Günter M. Ziegler, Professor für Mathematik

Berlin vis-à-vis im Gespräch mit Günter M. Ziegler, seit 1995 Professor für Mathematik an der TU Berlin. Seit 2006 Präsident der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. In diesem Jahr wurde Ziegler mit dem Communicator-Preis für seine herausragende öffentliche Vermittlung der Mathematik ausgezeichnet.

Als überaus präsenter Koordinator des Mathematikjahres rufen Sie auf mitzumachen. Aktionismus und Appelle im Bereich der Naturwissenschaften, das scheint ungewöhnlich.

Ziegler: So wie die Wissenschaften sich unterscheiden, so unterscheiden sie sich auch in ihrer Absicht, die bei der Konzeption eines solchen Jahres formuliert wird. Es gibt nur eine Mathematik und wir machen nicht das Mathematikjahr, um die Community zusammenzubringen und zu einen, die ist zusammen und geeint, sondern wir machen das Mathematikjahr, um Mathematik darzustellen, um die Leute entdecken zu lassen, was Mathematik eigentlich ist. Unsere Botschaft ist eine positive: Mathematik ist ein interessantes Fach, hier gibt es viel zu entdecken. Das ist ein Mitmachthema.

Stichwort Mathemacher.
Mathe ist kein Zuschauersport. Es ist nichts Faszinierendes, wenn man auf der Tribüne sitzt und die Leute dann Matheturnen lässt, sondern Mathe ist interessant, wenn man es selber macht. Um solchen Sätzen Sinn zu geben, muss man sich erst einmal einigen, was Mathe ist. Wenn Mathe nur das ist, worauf es gerne in der öffentlichen Wahrnehmung reduziert wird, und teilweise eben leider auch in den Lehrplänen der Schulen, nämlich Bruch- und Prozentrechnung lernen, dann ist das eben eine furchtbar langweilige Sache. Und wenn man es auch nur reduziert auf die Forschung in Universitätsinstituten, dann ist Mathe etwas sehr Graues, das man sich eigentlich nicht vorstellen kann. Wenn wir sagen „Mach mit“, dann muss die Mathematik, die da auftaucht, vielfältig sein, sie muss lebensnah sein, und es muss nebenbei herauskommen, dass wir andauernd die ganze Zeit Mathematik machen. Das Interesse der Öffentlichkeit ist doch riesig, wenn Mathematik ist, Sudoku-Rätsel zu lösen und U-Bahn zu fahren oder Kehlmann und Enzensberger zu lesen.

Braucht man dafür überhaupt ein Wissenschaftsjahr?
Das Mathematikjahr machen wir zu viert: das Bundesforschungs- und Bildungsministerium, Wissenschaft im Dialog, die Deutsche Telekom Stiftung und die Deutsche Mathematiker-Vereinigung mit den anderen Verbänden zusammen, vertreten durch mich. Das passt phantastisch zusammen. Das Mathejahr ist eine Plattform für jeden von uns, aus unterschiedlichen Gründen Gutes zu tun und gemeinsam aufzutreten.

Vier Partner, vier Ziele. Funktioniert das?
Das Ministerium kommt von der Hightech-Strategie her und hat gelernt, dass Mathematik eine Schlüsselwissenschaft ist, und macht sich gleichzeitig Sorgen, dass wir in wenigen Jahren einen grausamen Mangel haben werden an Ingenieuren, Physikern, Mathematikern. Der zweite Akteur, die Deutsche Telekom Stiftung, fördert die Ausbildung in der gesamten Vertikale, von der Grundschule bis zum Abitur, über das Lehramtsstudium, die Lehrerweiterbildung einschließlich des Bildes der Mathematik in der Öffentlichkeit. Wissenschaft im Dialog, gegründet von den Großforschungseinrichtun-gen Deutschlands, organisiert das Wissenschaftsschiff und den Wissenschaftssommer. Hier ist die Agenda Anwendung und das Schiff eine Mitmachausstellung, bestückt mit Exponaten aus der deutschen Forschungslandschaft zum Sehen, Lernen und In-die-Hand-Nehmen, die zeigen, was angewandte mathematische Forschung in Deutschland leisten kann.
Der vierte Partner sind wir, die Mathematik. Unser Auftrag: Das Fach sichtbar machen. Das Mathematikjahr ist nur ein Erfolg, wenn in Deutschland in jeder Schule ein oder zwei oder drei Mathelehrer sagen: „Ich bin der Mathemacher. Wir machen mit!“

Brit Hartmann

 

35 - Sommer 2008