Sammler und Werbeunternehmer Christian Boros hat den Hochbunker an der Reinhardtstraße in Mitte zu einem Privatmuseum umbauen lassen.
Ein Schrein für die Kunst, das sei der Bunker nicht. Das klinge zu erhaben, meint Christian Boros, der lieber vom „größten Hobbykeller der Welt“ spricht, aber Genugtuung darüber empfindet, dass es gelungen ist, diesen Betonkoloss für die Kunst zu bezwingen. Jahrelang wurde spekuliert, ob diese wuchtigen Mauern des NS-Luftschutzbunkers an der Reinhardtstraße sich jemals für Kunst öffnen ließen, ja ob der Wuppertaler Sammler Christian Boros Öffentlichkeit überhaupt zulässt, da ist die Geschichte schon – so sagt man – gegessen, die Eröffnungsparty vorbei. Aber der Kunstbunker, bereits als „spektakuläres Privatmuseum“ gefeiert, steht ja wohl noch eine Weile. Grund genug, doch einmal hinzuschauen.
Das Sagenhafte daran ist bereits beschrieben worden: Da kam jemand und wollte mit dem Kopf durch die Wand. Es bietet sich auch ein anderes Bild an: aus der „Blechtrommel“. Oskar Matzerath. Wenn der schreit, zerbirst Glas. So einer ist von starkem Willen, ein Dickschädel, der auf seine Weise in der Welt agiert, Zeichen setzt. Um dem Bild zu genügen, muss man nicht unbedingt kleinwüchsig wie Günter Grass‘ Romanheld sein. Christian Boros, 1964 in Polen geboren, ist allerdings nicht groß. Mit schöner Selbstironie lässt er sich von Fotografen etwa inmitten der monumentalen, raumdurchstoßenden Skulpturen von Santiago Sierra ablichten und erzählt dabei von Erkundungsabenteuern im düsteren Gemäuer mit Stirnlampe am Kopf. Möglicherweise will er auch demonstrieren, dass der Mensch, egal wie gewachsen, angesichts der Wucht von Geschichte, der Dimension von Räumen immer nur klein ist. Er könnte erdrückt werden, würde er nicht dagegen angehen. Darum geht es! Christian Boros ist ein bekennender Erfolgsmensch. Er liebt das Unmögliche als Herausforderung: Gegen Beton anrennen, Kunst, die sich nicht mühelos erschließt. Als Abiturient erwarb er eine Beuys-Schaufel, um, wie er sagt, familiäres Aufsehen zu erregen, ein Wundern hervorzurufen, darüber, dass man als Achtzehnjähriger Kunst kauft.
Im Jahr 2003 erwarb das Ehepaar Boros den Hochbunker an der Reinhardtstraße und beauftragte die Firma Realarchitektur mit dem Umbau. Aus einhundertzwanzig niedrigen und fensterlosen Betonkammern schuf der Architekt Jens Caspar achtzig Räume für die private Sammlung zeitgenössischer Kunst. Es wurden Decken abgetragen, meterdicke Wände durchbrochen und ein überraschendes Labyrinth auf dreitausend Quadratmetern und über fünf Stockwerke geschaffen.
Der Luftschutzhochbunker unweit des Deutschen Theaters wurde bereits im Jahre 1942 unter der Bezeichnung „Reichsbahnbunker Friedrichstraße“ erbaut. Die Planung begann 1941 unter der Leitung von Reichsbauminister Albert Speer. Obwohl nur für maximal 2000 Personen vorgesehen, drängten sich hier in den letzten Kriegstagen tagtäglich bis zu dreitausend Menschen. Der Monolith als Wahrzeichen eines verheerenden historischen Wahnwitzes, einst mit Germania-Visionen im Stil der Renaissance und aus ewighartem Blaubeton erbaut, unterliegt dem Denkmalschutz. Seine Fassade ist unberührt, und doch ist er zum Sockel für ein lichtes Stück Moderne umgedeutet. Denn auf dem Bunker thront das Glas-und-Stahl-Penthouse des Kunstsammlerpaares und erinnert an ein uraltes Spiel: Schere, Stein, Papier. Papier gewinnt! Es wickelt den Stein ein. Hermetik oder Offenheit, Festung und Freiheit. Hier obsiegt die inszenierte Dualität. Den rasanten Wettbewerb der neuen deutschen Sammler um das originellste Domizil haben die Boros auf jeden Fall gewonnen.
Der Kunstbunker wurde im April der Presse vorgeführt, also genau in jenem Frühlingsmonat, in dem 1945 der Kampf um Berlin begonnen hatte. Im Eingangsbereich schwingt stumm eine schwere Bronzeglocke. Die Geschichte um die schlägellose Kirchenglocke, die der belgische Konzeptkünstler Kris Martin in den schmalen Raum gehängt hat, führt zu Hemingway und in den spanischen Bürgerkrieg: „Wem die Stunde schlägt“. Mit diesem Memento Mori wird der Rundgang eröffnet. Es geht vorbei an spurenreichen Wänden, die auch von den verschiedensten Nachkriegsnutzungen (1945 Gefängnis für Kriegsgefangene der Roten Armee, Südfrüchtelager in der DDR, Fetisch- und Technoclub nach 1989) des Bunkers erzählen. Es ist doch sehr signifikant, im verliesähnlichen, tageslichtlosen Gehäuse die erste Sammlungsausstellung dem Thema Licht und Raum zu widmen. Olafur Eliasson, der Physiker unter den Künstlern, baut quasi eine eigene Discokugel und löst die Kubaturen im prismatisch-psychedelischen Farbspiel auf. Über zehn Werke des international erfolgreichen Dänen, der gerade mit einer Werkschau in New York Furore macht, haben die Boros zusammengetragen. Dabei auch eine seiner ersten Berlin-Biennale-Arbeiten, ein schwingender Ventilator, der durch sich selbst angetrieben raumgreifende Luftzeichnungen ausführt. Alfred Hitchcocks Vögel? Katja Strunz plaziert vierzig Faltskulpturen über mehrere Stockwerke. Die Warschauer Künstlerin Monika Sosnowska schiebt einen meterlangen Keil durch die Räume. Weiter geht es mit den tief gehängten Lampenobjekten von Tobias Rehberger, inszenierten „Höhlen“-Fotos von Florian Slotawa oder der Wachsfiguren-Inszenierung „Temporarily Placed“ von Elmgreen & Dragset. Die Kunstsammlung umfasst vierhundert Werke von Tillmans bis Elizabeth Peyton. Von Anselm Reyle, der mit Streifenbildern und fluoreszierenden Oberflächen Furore machte, fasziniert ein neongrüner „Heuwagen“, der wie aus verschüttetem Gedächtnisbesitz aufzutauchen scheint.
Anita Wünschmann
Ausstellung
Sammlung Boros, Bunker, Reinhardtstraße 20, Berlin-Mitte
Besichtigung: ab 7. Juni, Samstag und Sonntag, 11 bis 17 Uhr
Zweistündige Führungen nach Voranmeldung (10 Euro):
www.sammlung-boros.de