Der Ort der Täter

Mehr als 20 Jahre hat es gedauert, bis die Ausstellung über das Terrorsystem der Nazis aus dem bisherigen Provisorium in ein eigenes Gebäude umziehen konnte. Anfang Mai hat Bundespräsident Horst Köhler das Dokumentationszentrum der Stiftung Topographie des Terrors eröffnet.

Nur an wenigen Orten Berlins zeigt sich die deutsche Geschichte mit all ihren Schrecken und Wendungen so eindrucksvoll wie in der Niederkirchnerstraße an der Grenze zwischen den Stadtteilen Mitte und Kreuzberg. Ein erhalten gebliebenes Stück der Berliner Mauer erinnert an die Zeit der deutschen Teilung, während sich daneben der Riesenkomplex des Finanzministeriums erstreckt, der in den dreißiger Jahren als Sitz des Reichsluftfahrtministeriums errichtet wurde. Ebenfalls ganz in der Nähe befindet sich das Abgeordnetenhaus des Landes Berlin, ursprünglich Sitz des Preußischen Landtags und heute Zeichen demokratischer Normalität. Und dann gibt es noch die große Freifläche, auf der jetzt ein zurückhaltender Neubau steht: das Dokumentationszentrum der Topographie des Terrors.
In der Niederkirchnerstraße (damals Prinz-Albrecht-Straße) und der benachbarten Wilhelmstraße befand sich die Terrorzentrale des NS-Regimes. Geheime Staatspolizei (Gestapo), SS und Reichssicherheitshauptamt hatten sich hier in mehreren bestehenden Gebäuden in unmittelbarer Nähe von Reichskanzlei und Ministerien eingerichtet. Von hier aus planten Heinrich Himmler, Reinhard Heydrich und andere Protagonisten der nationalsozialistischen Verbrechen die Verfolgung und Vernichtung von Juden, politischen Gegnern, Sinti und Roma sowie sogenannten Asozialen. Es war ein Ort der Täter – insofern ergänzt das Dokumentationszentrum die anderen Gedenkorte in und um Berlin, die an das Leiden der Opfer erinnern, wie das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas, das Jüdische Museum und die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Sachsenhausen.
Von den Gebäuden der Prinz-Albrecht-Straße ist allerdings, sieht man von einigen Fundamenten ab, nichts erhalten geblieben. Dabei hatten sie, wenn auch schwer beschädigt, den Zweiten Weltkrieg teilweise überstanden. Doch die Ruinen wurden bis 1956 abgetragen, und die Vergangenheit des Areals geriet in Vergessenheit. Das belegt der Umstand, dass das Gelände ausgerechnet von einer Bauschuttverwertungsfirma und dem Autodrom, einer Autorennstrecke im Kleinformat, genutzt wurde. Erst in den späten siebziger Jahren begannen engagierte Bürger, an die Geschichte des Ortes zu erinnern. 1987, anlässlich der 750-Jahr-Feier Berlins, wurde eine erste Ausstellung eröffnet, und 1995 gründete sich die Stiftung Dokumentationszentrum Topographie des Terrors.
Doch obwohl zuletzt eine halbe Million Menschen jährlich die Ausstellung besuchten, verfügte die Stiftung bis zu diesem Jahr über kein festes Domizil. Die Topographie des Terrors zeugt nämlich nicht nur von den Schwierigkeiten, zu den Verbrechen der Väter und Großväter zu stehen, sondern auch von den Wirrungen der Berliner Nachwendeplanungen. „Es gab Zeiten, zu denen ich nicht sicher war, ob wir diesen Tag jemals erleben würden“, sagte Andreas Nachama, Geschäftsführender Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, bei der Eröffnung des Dokumentationszentrums im Mai. Denn jahrelang gab es Streit um den bereits 1993 aus einem Wettbewerb hervorgegangenen Entwurf des renommierten Schweizer Architekten Peter Zumthor, der zwar die Architekturkritiker in Begeisterung versetzte, Finanzpolitikern aber wegen explodierender Kosten Sorgenfalten auf die Stirn trieb. 2004 zogen Bund und Land Berlin die Notbremse und schrieben einen neuen Wettbewerb aus. Das Rennen machte der Entwurf der Architektin Ursula Wilms vom Büro Heinle, Wischer und Partner, der jetzt – durchaus bemerkenswert für ein öffentliches Bauprojekt – termingetreu fertiggestellt wurde. Die Gesamtkosten dafür beliefen sich auf 26 Millionen Euro.
Während Zumthor auf die große Geste gesetzt hatte, wählte Wilms eine diskrete Lösung, die dafür die Anforderungen der Stiftung in nahezu idealer Weise erfüllt. Von fast allen Räumen aus eröffnet der Neubau Blickbeziehungen zum Außenraum als dem eigentlichen historischen Ort. Neben zwei Sälen für Dauer- und Wechselausstellung verfügt das Gebäude auch über einen Veranstaltungsraum, eine Bibliothek mit 27 000 Medieneinheiten und Seminarräume.
Den Besucher erwartet eine klug konzipierte Ausstellung, die mit zahlreichen Dokumenten eine Übersicht über die Mechanismen des SS-Staates bietet. Dabei beschränkt sie sich nicht darauf, die Struktur der Repressionsinstitutionen zu analysieren, sondern schlägt einen großen Bogen von der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis zum Schicksal der Täter nach Kriegsende. Besonders eindrucksvoll sind dabei die Einblicke in das Innere von SS und Gestapo. So zeigt etwa ein Gruppenfoto zwei Dutzend fröhliche Herren mit Anzug, Fliege und keckem Hütchen auf dem Kopf. Es sind, wie die Bildunterschrift verrät, Flensburger Gestapo-Angehörige bei einem Ausflug an Himmelfahrt 1936. Auch die Unterdrückung von Juden und politisch Andersdenkenden belegt die Ausstellung mit wenig bekannten Aufnahmen – so etwa der eines in „Schutzhaft“ genommenen SPD-Kreistagsabgeordneten, der 1933 auf einem Ochsen sitzend durch das hessische Städtchen Hofgeismar getrieben wird, während sich seine Mitbürger ob des Spektakels prächtig amüsieren.
Obwohl der Schwerpunkt der Ausstellung auf dem Ort der Täter liegt, führt die Ausstellung auch das Schicksal der im Hausgefängnis der Prinz-Albrecht-Straße inhaftierten und gefolterten politischen Gefangenen vor Augen. Zum Dokumentationszentrum gehört ferner ein Rundweg über das Freigelände, der an 15 Stationen die Geschichte des Ortes Revue passieren lässt und dabei auch ein in der Nachkriegszeit entstandenes Robinienwäldchen als Zeugnis der Verdrängung nicht unberücksichtigt lässt.
Paul Munzinger
 

43 - Sommer 2010