Was ist Kunst? Im Atelier Bunter Jakob arbeiten Kinder, Kunstschaffende und Museumsmitarbeiter eng zusammen. Sie alle verbindet ein weitreichendes Interesse: Entdecken, Sammeln, Bewahren und Erforschen.
„Ein Atelier mit eigenem Museum“, so wirbt das Atelier Bunter Jakob. Das Museum dazu ist die Berlinische Galerie, in der die Moderne, aber auch die zeitgenössische Kunst zu Hause ist, in der Alten Jakobstraße – und warum „bunt“? Weil es dort farbig zugeht, und das in mehrfacher Hinsicht. Blenden wir uns mal ein ins Bunte: Da ist eine Kindergartengruppe, vier, fünf Jahre alte Kids, und sie steuern direkt auf Emilio Vedovas raumgreifendes „Absurdes Berliner Tagebuch ’64“ in der ständigen Ausstellung zu. Und man merkt, die Kinder wollen nicht unhöflich sein, doch irgendwie platzt es aus einem heraus: „Das ist ja Krickelkrakel“, dann „Das können wir auch“ und „Wieviel kostet das?“ Die Skepsis ist allgemein. Dann setzen sie sich in die Mitte des Kunstwerks, und die sie begleitende Künstlerin bittet sie, doch genau die einzelnen Teile zu betrachten. Verfolgt man die imaginären Linien, finden sich Dreiecke, es könnten aber auch „Laserstrahllinien sein“, entzündet sich die Phantasie. Und wahrscheinlich war der Maler „sauer“, als er gearbeitet hat, weil alles so wild durcheinander ist. Sie kommen von der Beobachtung zur Stimmungslage des Künstlers, und instinktiv fühlen sie den Sinn der Arbeit. Emilio Vedova hat sein Werk kurz nach dem Bau der Berliner Mauer gestaltet, seinen Eindruck des Chaos, der Zusammenprall gegensätzlicher Situation festgehalten. Später gehen die Kids ins Atelier und versuchen aus verschiedenen Materialen selbst ein Kunstwerk zu erschaffen, jeder nach seinen eigenen Vorstellungen. Und das ist der tiefere Sinn des Ateliers Bunter Jakob: Über die Kunst miteinander ins Gespräch zu kommen, sich auszutauschen, andere Meinungen zu achten und dabei immer wieder die eigenen Vorstellungen und Erfahrungen einzubringen. Sie nähern sich praktisch und theoretisch der Frage: „Was ist Kunst, was kann sie, was macht sie mit mir?“ Und wie geht das? So ist die Nr. 1 im Atelier das Experiment.
Sie zeichnen, malen, klecksen, drucken mit Schrankteilen und anderen ungewöhnlichen Utensilien. Hasenleim vermischt mit gekochter Cochenille-Schildlaus ergibt ein herrliches Scharlachrot – und das verändert sich erneut, wenn man es auf Leinen, Seide oder Papier aufträgt. So ist man nebenbei auch dem Geheimnis der Künstler auf die Spur gekommen. Und ganz nebenbei wird auch Wissen vermittelt, aber nicht durch Museumspädagogen, sondern durch Künstler, was die einzelnen Projekte entscheidend an Authentizität gewinnen lässt.
Das Konzept ist interessant und im Zusammenwirken mit dem Museum wohl einmalig. Das Atelier arbeitet eng mit den Kuratoren der aktuellen Ausstellungen zusammen, das heißt ganz praktisch, dass auch sie sich immer Gedanken machen müssen: Wie kann man Kindern den Zugang zur Kunst verschaffen? Das Atelier entwickelt bestimmte Programme für verschiedene Altersklassen dazu. Beate Gorges, künstlerische Leiterin, erläutert die Ziele, die gar nicht darauf aus sind, hier künstlerische Talente zu entdecken oder Kunstexperten zu erziehen. Sie gehen viel weiter – oder besser darauf zurück, was Kunst kann. „Kunst wirft einen originellen Blick auf unser Leben, lehrt in Zusammenhängen und quer zu denken“, sagt sie. „Kunst fördert die eigene Wahrnehmung und die Fähigkeit, die Welt zu erklären. Und Gespräche darüber erfordern Toleranz gegenüber fremden Eindrücken, sie trainieren eigene Sichtweisen und die Fähigkeit, über diese zu reden.“ Und sie hat auch ein ganz praktisches Beispiel parat. Zum Offenen Atelier, jeden Mittwoch, treffen sich etwa 20 Kinder unterschiedlichster Herkunft aus dem umliegenden Kiez. Die Mädchen und Jungen türkischer, arabischer, afrikanischer Abstammung sprechen beim Malen und Modellieren auch schon mal über Religion und ihre unterschiedlichen Lebensweisen. Genauso, wie sie auch einfach mal nur ganz bodenständig Geschenke basteln wollen. In der Regel kommen Schulklassen ins Museum und zu den Atelierprogrammen als eine Ergänzung zur herkömmlichen Kunsterziehung. Das braucht vielfältige Unterstützung aus der Wirtschaft. Ein Unternehmen wie der Berliner Energiedienstleister Gasag hat seinen Fokus beim Sponsoring längst schon auf den Nachwuchs gerichtet und unterstützt das ehrenwerte Projekt finanziell. Hier in der Gegend um die Berlinische Galerie wohnen viele Familien, die mit ihren Kindern nicht immer in den Ferien verreisen können. Gerade für sie sind die Angebote in ihrem Kiez umso wichtiger. Die Unterstützung durch die Gasag spricht für die künstlerische und soziale Kompetenz des Projekts, das sich mit dem Standortwechsel der Berlinischen Galerie vor fünf Jahren gegründet hat.
Das Programm ist vielfältig: Beliebt sind auch die Familiensonntage mit Porträtzeichnen – Mama malt Papa und der Junior ein Doppelporträt beider, oder wie immer man möchte. Ebenfalls gefragt ist die „Monsterjagd im Museum“. Mit Papier und Bleistift werden „Monster“ in den Bildern und Skulpturen aufgespürt. Nach erfolgreicher Jagd werden die Gruselgestalten aus Recyclingmaterial nachgebaut. Hervorragend auch die Trickfilmsonntage. „Rotkäppchen spaziert durch den Broccoliwald. Plötzlich raschelt es...“, so die Ausgangsthese für die verrücktesten Rotkäppchenversionen, die dann mit Blättern, Ästen, Sand und Steinen gelegt und zum Schluss am Computer animiert werden. Und noch eine „Bunte-Jakob-Spezialität“ hat Beate Gorges in petto: Kindergeburtstag im Museum unter künstlerischer Leitung.
Martina Krüger