Die Hüterin der Kronen

Im Graphikschrank funkelt es. Er ist zweckentfremdet. Hier lagert Käthe Klappenbach, Kustodin für Beleuchtungskörper bei der Schlösserstiftung, ihre „Pendeloques“. So nennt man in Tropfenform geschliffene Schmucksteine, auch den Behang eines Kronleuchters aus Glas oder Bergkristall. Sie greift einen etwa 15 Zentimeter großen geschliffenen Bergkristall aus der breiten flachen Schublade. Immer wieder streicht sie über die glatte transparente Oberfläche. „Sehen Sie hier die Unebenheit, das war ein kleiner Schaden im Stein, der beschliffen wurde“, erklärt sie eine Besonderheit. Manchmal könne es auch vorkommen, dass ein Glas durch falsche chemische Zusammensetzung und zu viel Luftfeuchtigkeit blind wird. An einem großen Leuchter hängen unzählige dieser kleinen transparenten Schönheiten. „Auf jeden einzelnen kommt es am Ende an, damit der Gesamteindruck entsteht“, erzählt die erfahrene Museumsfrau weiter. Manchmal sei an einem Bergkristall der Behang durch Glas ergänzt worden. Das sehe man sofort. Seit 33 Jahren ist die promovierte Museologin für die Kronen, wie man die Kronleuchter auch nennt, zuständig. Am Anfang sei sie alles andere als begeistert gewesen. Hans-Joachim Giersberg, der langjährige Direktor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam, habe ihr damals die Aufgabe übertragen, alle Beleuchtungskörper zu inventarisieren. Beleuchtungskörper klingt viel zu nüchtern für all die königlichen Schätze, die Käthe Klappenbach da unter sich hat. Neben den Kronleuchtern sind das unter anderem auch die Tischleuchter aus Silber oder Porzellan und die Messing-Wandleuchter. Nicht zu vergessen die kleinen bunten Illuminationslampen aus Glas, die auf Gartenfesten zum Einsatz kamen. Aus der Pflicht wurde im Laufe der Jahre eine Leidenschaft.


2001 erschien der schwergewichtige Bestandskatalog „Kronleuchter aus Glas und Bergkristall in den Preußischen Königschlössern von Berlin-Brandenburg bis 1810“, wo jeder erhaltene und jeder verschollene Leuchter genauestens aufgeführt ist.


Mittlerweile gilt Käthe Klappenbach als eine der ganz wenigen Expertinnen auf ihrem Gebiet weltweit. Sie arbeitet als wissenschaftliche Beraterin in der europäischen KronleuchterForschungsgesellschaft „Light and glass“, wo sich Kronleuchterkenner aus zwölf Ländern versammeln. Das Metropolitan Museum New York holte ihren Rat gleichermaßen ein wie das Schweizer Bundeshaus in Bern und ein Esterházy-Schloss in Österreich. Immer wieder wenden sich auch Kunsthändler an sie, die wissen wollen, was ihre Schmuckstücke wert sind. „Zu Zeiten Friedrichs des Großen kostete ein Kronleuchter etwa so viel wie zehn Gemälde: 3000 bis 4000 Taler“, erklärt Käthe Klappenbach. „Zum Vergleich, der Hofmusiker Carl Philipp Emanuel Bach verdiente ganze 300 Taler im Jahr.“ In ihrer Stimme klingt jetzt ein klein wenig Stolz mit, dass sie mit diesen Kostbarkeiten täglich Umgang haben darf.


Um zu erfahren, was so ein Kronleuchter für einen Raum bedeutet, muss man die Räume aufsuchen. Zum Beispiel die Königswohnung Friedrich II. im Neuen Palais und hier das Konzertzimmer, wo der Monarch so gern seine Querflöte auspackte. Ein repräsentativer Bergkristall-Kronleuchter krönt den Raum, gefertigt nach 1750 in Paris und Mailand. Trotz seiner zwölf Kerzen, viel Licht hatte der König am Abend nicht. Waren alle „Beleuchtungskörper“ mit Kerzen bestückt, also auch die Tisch- und Wandleuchter, wurden maximal fünf Lux erreicht. Für einen Dokumentarfilm hat man unlängst das einmalige Experiment unternommen, den Raum ins historisch rechte Licht zu rücken. Was herauskam, war für unsere heutigen Verhältnisse alles andere als hell. Dabei war man doch ganz im Sinne der Aufklärung an einer besseren Durchleuchtung der Dinge interessiert. Licht aber blieb Luxus (Lux gleich Luxus). Der Silberkämmerer hatte die teuren Bienenwachskerzen mit in seiner Obhut und gab sie einzeln aus. Dem Kronleuchter wurden deshalb nur zu höchsten Feiertagen einmal seine Kerzen aufgesteckt. Im Nachbarraum, der Blauen Kammer der Königswohnung, erwartet den Besucher ein Lüster der ganz anderen Art. Hier hängt ein Porzellankronleuchter, gefertigt von der Königlichen Manufaktur in Berlin. Die sich anschließende Spiegelgalerie wartet sogar mit drei Kristallkronleuchtern auf. Nach ihrem Lieblingsleuchter befragt, sagt Käthe Klappenbach: „Das wechselt immer mal, je nachdem. Im Moment ist es der frühklassizistische Kronleuchter im Saal der Meierei auf der Pfaueninsel.“ Ausgesucht hat diesen Leuchter womöglich Königin Luise damals höchstselbst.


Weil es so viele verschiedene Leuchter gibt und sich so viele dafür inter-essieren, veranstaltet die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten mit Käthe Klappenbach einmal im Jahr, meist im Dezember, Kronleuchterführungen durch das Neue Palais und Schloss Sanssouci. Dabei kommen auch immer wieder solch scheinbar profane Fragen wie nach dem Putzen der Schmuckstücke mit ihren vielen kleinen Teilen aus Glas und Draht. Dabei ist die Frage durchaus berechtigt: „Ein speziell eingearbeiteter Hausmeister und eine Restauratorin teilen sich die Arbeit“, erzählt Käthe Klappenbach. „Sie benutzen einen kleinen Pinsel und ein Mikrofasertuch, kein Wasser.“ Weil dieses Reinigen so aufwendig ist, allein deshalb werden die Leuchter so bald nicht wieder leuchten. Aber auch so sind die „Luftmöbel“, wie Käthe Klappenbach ihre Kronleuchter auch nennt, eine Attraktion für sich.

Karen Schröder

 

44 - Herbst 2010