Sie ist sanft. Sie ist freundlich. Alle scharen sich um sie, wie Bienen um den Honig. Die alte Dame sitzt auf einer Holzbank mit wunderschönem Ausblick aufs Wasser. Narvada Devi Puri-Mataji, die Grande Dame des Yoga, ist nach Berlin gekommen, zum Yoga-Festival. Es ist ihre Heimatstadt, obwohl ihr die Havel und der Wannsee, das Brandenburger Tor und der Kurfürstendamm so fern vorkommen müssen wie aus einem anderen Leben. Als junge Frau, die gerade eine Karriere als Schauspielerin gestartet hatte, fuhr sie nach Indien. Und sollte bleiben. Ihr Leben klingt ein bisschen nach kitschiger Seifenoper, denn sie war eine Boulevard-Schauspielerin an den Ku'damm-Bühnen, die von der Hippie-Bewegung fasziniert war. Und von dem jungen indischen Yogi, den sie auf ihrer Reise kennenlernte und mit dem sie glücklich werden sollte. Die ersten zehn Jahre verbrachten die beiden auf einer Sandbank im Ganges, praktizierten Yoga, danach gründeten sie einen Ashram an den Ufern des Ganges. Narvadas Ehemann und Guru ist vor einigen Jahren gestorben, nun betreibt sie den Ashram (bedeutet übersetzt „Ort der Anstrengung“, klosterähnliches Meditationszentrum) mit ihren Kindern, und manchmal geht sie auf Reisen. Der Ort des Berliner Yoga-Festivals, das in diesem Juni zum achten Mal stattfand, ist seit Jahren der Kulturpark Kladow, ein zauberhafter, idyllischer, leider mehr und mehr verfallender Platz. Vier Tage lang trafen sich Schüler und Gurus aus aller Welt, Sinnvolles traf auf weniger Sinnvolles, Sinnsuchende auf jene, die Sinn geben wollen.
Das Grußwort für das Festival hat die Sängerin Ulla Meinecke geschrieben. Sie betreibt erst seit einem Jahr Yoga. Weil ihr die Zellen mit Ende fünfzig zugeflüstert haben, dass sie sich auch gerne noch mit 75 die Schuhe selbst zubinden möchte, ohne umzufallen. Ihr Rat ist ein wichtiger Punkt für alle Anfänger: „Yoga macht Freude, besonders, wenn man wie ich einen fähigen Lehrer findet.“ Das Problem ist nicht die Auswahl, sondern die Qualität. Wie Pilze schießen derzeit die Yoga-Studios in Deutschland aus dem Boden, allein in Berlin gibt es schätzungsweise dreihundert, dazu bieten viele Yogalehrer ihre Dienste an. Es gibt jene, die ihren Beruf in jahrelangen Ausbildungen genossen haben, und solche, die einen Wochenendkurs absolviert haben – ein Studio dürfen beide eröffnen. Da hilft nur eine Probestunde! Und ins nächste Studio gehen, wenn man sich nicht wohlfühlt. Yoga ist weder ein Schönheits- noch ein Olympia-Vorbereitungs-Wettbewerb, auch wenn viele es dazu machen (wollen). In Indien gehen die Menschen zum Yoga wie wir ins Kaffeehaus – um für kurze Zeit neue Kräfte zu sammeln und den Geist zu trainieren. Das alles schenkt uns Yoga.
Silvia Meixner