Märtyrer wider Willen

Demonstrierende mit Transparent „Wir wollen unsern alten Sänger Biermann wiederhaben!“, Leipzig, November 1989 [© Staatsbibliothek – PK / Abteilung Handschriften und historische Drucke / Archiv Wolf Biermann]

Eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum ordnet die Bedeutung des Liedermachers und Lyrikers Wolf Biermann ein – seine wichtigste Wirkung liegt in seiner Symbolkraft als Figur der deutsch-deutschen Zeitgeschichte.

Noch viel mehr als bei anderen Künstlern spielt es bei Wolf Biermann eine Rolle, wann, wo und mit welchem Hintergrund man sich zum ersten Mal mit ihm auseinandergesetzt hat. Je nach eigener Herkunft, Sozialisierung und politischer Denkart kann er dabei eine Art Messias sein, der sich allen Widrigkeiten zum Trotz auch in einer Diktatur nicht den Mund verbieten ließ – oder eine von Selbstgefälligkeit nicht freie Stimme aus der Vergangenheit, die die DDR und Menschen aus Ostdeutschland aus der Perspektive dessen beurteilt, der den größeren Teil seines Lebens inklusive Mauerfall und Neuordnung der Verhältnisse im Westen verbracht hat.

Das Deutsche Historische Museum widmet Biermann nun eine umfassende Ausstellung mit dem Titel „Wolf Biermann: ein Lyriker und Liedermacher aus Deutschland“. Damit schafft es einen Rahmen, in den die Besucherinnen und Besucher die Bedeutung des einst umstrittenen Künstlers in dessen 87. Lebensjahr historisch und zeitgeschichtlich noch einmal für sich einordnen können.

Geboren wurde Karl Wolf Biermann im November 1936 in Hamburg als erstes Kind eines Werftarbeiters mit jüdischen Vorfahren und einer Maschinenstrickerin. Beide Eltern waren überzeugte Kommunisten und hatten gegen die Nazis Widerstand geleistet, wofür der Vater bereits in Haft gewesen war.  Als Wolf Biermann wenige Monate alt war, sperrte die Gestapo den Vater erneut für sechs Jahre ein und ließ ihn schließlich im Konzentrationslager in Auschwitz ermorden. Da war Wolf Biermann sechs Jahre alt. Im Andenken an die kommunistische Überzeugung seines Vaters entschied er sich als 16-jähriger, in die sozialistische DDR umzusiedeln und wurde 1953 in einem Internat in Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen. Seine Mutter, zu der er zeitlebens ein inniges Verhältnis hatte, blieb im Westen zurück. Nach dem Abitur begann Biermann in Berlin ein Studium der Politischen Ökonomie, das der große Brecht-Bewunderer dann aber zugunsten einer Stellung als Regieassistent bei Helene Weigel am Berliner Ensemble abbrach – um danach wieder an die Uni zu gehen und Philosophie und Mathematik zu studieren.

1961 gründete er das „berliner arbeiter- und studententheater“ (b.a.t.), kurz davor hatte er sich um die Aufnahme in die SED beworben. Beides wurde zur Grundlage seiner zeitgeschichtlichen Rolle: Die sozialistischen Kulturfunktionäre schlossen das Theater nämlich 1963 gleich wieder, weil ihnen Biermanns erstes Stück „Der Brautgang“ über ein Liebespaar, das durch die neugebaute Mauer schwer zueinander fand, nicht passte.

Die SED lehnte seine Aufnahme ab. Ab jetzt hatte er es schwer, wurde bespitzelt und die meisten seiner Auftritte wurden verboten. Ein gigantisches Schrankungetüm voller Karteikarten zu ihm und seinem Umfeld zeugen in der Ausstellung von der Repression gegen Biermann. Die Replik eines selbstgemalten Zettels an seiner Wohnungstür in der Chausseestraße 131 zeigt seinen Umgang damit: „Guten Tag, ihr armen Stasischweine“.  Ab 1965 hatte er ein generelles Auftritts- und Publikationsverbot und durfte auch nicht in den Westen reisen – obwohl dort seine Platten und Bücher erschienen.

Überraschend erlaubte die Staatsführung 1976 Biermann die Ausreise zu einem Konzertauftritt in Köln – und machte ihn damit unwillentlich zum Märtyrer.  Wenige Tage danach entzog ihm die DDR nämlich überraschend die Staatsbürgerschaft – diverse Angebote, freiwillig „nach drüben“ zu gehen, hatte er immer abgelehnt. Jetzt hatte ihn die DDR rausgeschmissen und die Tür hinter ihm zugesperrt. Allerdings ging der Plan nicht auf:  Statt den ungeliebten Ziehsohn möglichst sang- und klanglos loszuwerden, verursachte die Staatsführung mit Biermanns Ausweisung eine Art Implosion der eigenen Intelligenz. Sofort nach Bekanntwerden protestierten erste Kunstschaffende der DDR mit einem offenen Brief gegen die Ausbürgerung, immer mehr solidarisierten sich und wurden daraufhin vom Staat in vielen Fällen ebenfalls drangsaliert, zur Ausreise getrieben oder ins Gefängnis gesteckt. Diese, wie auch Biermann selbst, wurden wiederum von vielen Kunstschaffenden im Westen unterstützt.

Die DDR-Kulturpolitik schuf mit dem missratenen Coup einen lebenden Beweis für ihr eigenes, strukturelles Scheitern: Sogar für einen zugewandten Kritiker, wie Biermann anfangs einer war, fehlte dem System die Geschmeidigkeit. Schon lange hatte Biermanns Bedeutung darin bestanden, dass er eine Identifikationsfigur für diejenigen war, die die DDR wollten – aber nicht so, wie sie war. Mit der Ausweisung kam er in West und Ost nun in die Position einer Ikone für Meinungs- und Kunstfreiheit – und zwar auch bei denjenigen, die davor nie ein Lied von ihm gehört oder ein Gedicht von ihm gelesen hatten.

Das alles erzählt diese Ausstellung sehr geschickt und spannend anhand von gut aufbereiteten Schriften, Filmausschnitten und Tondokumenten. Indem sie die Akteure und auch ihre Überzeugungen ernst nimmt und für sich selbst sprechen lässt, macht sie nicht nur die Atmosphäre der damaligen Zeit spürbar. Sie schafft vor allem auch einen Zugang zu einem jungen, idealistischen Biermann, der sich sei-nen Weg noch freikämpfte und damit ausgelastet schien.
Nach der erzwungenen Rückkehr in den Westen und einer kurzen Findungsphase, in der er für die Grünen und gegen Atomkraft warb, wuchs er rasch in die Rolle der Ikone und widmete sich ab dann der Bewirtschaftung seiner nun endgültig unberührbaren Position – was er problemlos mit einer Hinwendung zur CDU sowie einer Tätigkeit als „Chef-Kulturkorrespondent“ für die Welt und damit für den Springer-Verlag zu vereinbaren wusste. Diese Entwicklungen streift die Ausstellung nur am Rand. Etwas mehr Platz bekommt Biermanns Auseinandersetzung mit dem jüdischen Teil seiner Familie – inklusive Errichtung eines eigenen Holocaust-Mahnmals in seinem Garten – sowie die Übersetzung von „Großer Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk“, das der in Auschwitz ermordete Lyriker Itzhak Katzenelson hinterließ.

Wer nach den ganzen Dokumenten dann immer noch nicht weiß, ob Biermann nun ein Halbgott des Selberdenkens oder eher ein begnadeter Selbstdarsteller mit einem zeitgeschichtlich relevanten Schicksal ist, kann am Ende der Ausstellung die Antwort im künstlerischen Schaffen Biermanns selbst suchen. In dafür eingerichteten Lese- und Hör-ecken kann man sich durch das Werk des Meisters wühlen und sich in einem kleinen Kinoraum auch das Kölner Konzert in Gänze zu Gemüte führen.

So ist das nun mal mit Ikonen: Um ihre Bedeutung zu begreifen, muss man sie im richtigen Rahmen sehen. Nicht mehr und nicht weniger bietet diese gelungene Ausstellung.

Susann Sitzler


Information
Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland.
Ausstellung im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums,
geöffnet Fr bis Mi 10 – 18 Uhr, Do 10 – 20 Uhr.
Bis zum 14. Januar 2024.
Tickets und Informationen zum umfangreichen Rahmenprogramm unter www.dhm.de/biermann

 

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