Berlin-Mitte hat seit dem Richtfest im Juni wieder ein Schloss an der Spree. Über die Attraktivität des neuen Hauses entscheidet aber auch sein Umfeld. Doch das muss erst noch gebaut werden.
Na bitte, war doch ein Kinderspiel. Zwei Jahre hat Manfred Rettig für den kolossalen Rohbau gebraucht, von der Grundsteinlegung bis zum Richtfest. Niemand zweifelt daran, dass der Vorsitzende der Stiftung Berliner Schloss-Humboldtforum auch den dritten und letzten Meilenstein des Wiederaufbauprojekts planmäßig erreicht: 2019 soll das Barockschloss als Humboldtforum eröffnen. Leicht zu vergessen ist dabei, dass bis dahin auch das Drumherum neu zu gestalten und fertigzustellen ist. Damit hat Bauherr Rettig aber nichts zu tun. Das Schlossumfeld baut Berlin selbst.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt hatte für diese Aufgabe 2012 einen Freiraumwettbewerb ausgelobt. Der Siegerentwurf von bbz Landschaftsarchitekten definiert einen „zeitgenössischen Stadtraum, in dem die his-torischen Bezüge unsentimental aber präzise verarbeitet und transformiert werden“, urteilte 2013 das Preisgericht. Die historischen Schlossterrassen werden mit Staudenpflanzungen markiert, anstelle des alten Schlossgärtchens soll eine Trauerweide stehen. Auch den Apothekerflügel ersetzt eine Baumgruppe. Begrünt wird das Schlossumfeld dadurch noch lange nicht. Im Gegenteil, es wird großflächig gepflastert. „Das Schloss steht auf einem steinernen Tablett“, sagt Wilhelm von Boddien vom Förderverein Berliner Schloss.
Diesem Eindruck kann man sich nicht entziehen. Vor allem auf dem Schlossplatz (Südseite), wo die Rückkehr des Schlossbrunnens (Neptunbrunnen) umstritten ist und deshalb erstmal nicht mit ihm zu rechnen ist, fehlt ein Fixpunkt oder einfach Schatten. Es droht ein Platz ohne Aufenthaltsqualität. Warum werden hier keine Bäume gepflanzt? „Wir rekonstruieren nicht, stellen aber auch keine Bäume irgendwo auf, wo früher keine waren“, sagt Timo Herrmann von bbz. Da zeigt sich die Zurückhaltung, der Minimalismus des Entwurfs, der auch Raum für zukünftige Entscheidungen lassen soll.
Gepflastert wird auch vorm Portal III (Westseite, Schlosskuppel), auf der ehemaligen „Schlossfreiheit“. Eine barrierefreie Mischverkehrsfläche ohne abgestufte Bürgersteige entsteht hier, wo das Preisgericht die absolute Baumlosigkeit in der Nähe zur Schlossbrücke dann doch bemängelte. Fertiges Umfeld 2019? Wohl kaum. Die BVG hat ihre U5-Baustelle eingerichtet. Und der Bund baut hier auch noch das Freiheits- und Einheitsdenkmal für die Wende 1989, dessen Baubeginn (geplant war der 9. November 2014) auf sich warten lässt.
Im Norden soll die durch den alten Schlossgarten geführte Karl-Liebknecht-Straße verkehrsberuhigt werden (Tempo 30). Ein Plattenbelag erhöht das Straßenniveau und macht auf ganzer Breite des Lustgartens die Überquerung für Fußgänger leichter. Für Wilhelm von Boddien ist das immer noch zu viel Autoverkehr. Sein Ideal: „Am liebsten gar keinen“ und das Schloss bitte auch gärtnerisch anbinden.
In der Tat kann man hier ins Träumen geraten. War doch die Lustgartenseite die idyllische Schlossrückseite mit der Terrasse (geplante Stauden), den „Rossebändiger“-Statuen und den Standbildern der Oranierfürsten. Doch wie beim Neptunbrunnen steht die politische Debatte um potenzielle Rückkehrer noch aus. Wolfgang Schuster vom Architekten- und Ingenieur-Verein zu Berlin (AIV) wären die Rossebändiger „zu übertrieben historisierend. Ich empfinde die Denkmäler eben nicht nur als Erbe, sondern als eine neue Interpretation der Geschichte“.
Im Falle des Neptunbrunnens gäbe es aber auch städtebauliche Argumente. Auf dem Schlossplatz bildete er das Pendant zum Brunnen auf dem Lustgarten, und beide wären in Zukunft durch die von Architekt Franco Stella gebaute und 24 Stunden öffentlich zugängliche Schlosspassage miteinander verbunden. Komplexe Fragen, diverse Fälle. Der AIV fordert deshalb Untersuchungen zu translozierten Denkmälern als Grundlage für die weitere Planung: „Die Gutachten sind unverzichtbar, um die Spuren der Geschichte nicht einfach zu verwischen und um die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren.“
Völlig offen und gerade Gegenstand der Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ ist auch die Zukunft des Marx-Engels-Forums (als Teilgebiet des Rathausforums) östlich der Spree. Es gehört zwar nicht zum bbz-Entwurf, dieser endet an der Spree. Doch jenseits des Flusses wird man den Blick werfen können hinüber auf die einzig modern gestaltete Fassade des ansonsten barocken Schlosses. Manfred Rettig könnte sich vorstellen, dass die Stadt auf das Humboldtforum mit einem kleinen Stadtpark antwortet, „wo Kunst aus den Kulturen im öffentlichen Raum dargestellt wird. So etwas kann kombiniert werden mit Botanik. Alexander von Humboldt war ein großer Botaniker“. Solche Überlegungen müssten hier Platz greifen. Doch auch das Rathausforum ist nicht mehr seine Baustelle. Über die Vorschläge der laufenden Bürgerbeteiligung entscheidet das Abgeordnetenhaus 2016.
André Franke