Berlin-Macher Tanja Wielgoss

Dass Berlin dazu verdammt ist, immerfort zu werden und niemals zu sein, wusste schon im Jahr 1910 der Publizist und Kunstkritiker Karl Scheffler. Ein oft zitierter Satz, der noch heute gilt. Umso mehr sind Menschen gefragt, die vor oder hinter den Kulissen etwas bewegen und die Stadt ein Stück voranbringen. Wir stellen sie in jeder Ausgabe vor, die Berlin-Macher. Diesmal Tanja Wielgoss.

Seit zwei Jahren ist Tanja Wielgoß „Berlins schärfster Feger gegen Unrat und Dreck“, wie eine Boulevard-Zeitung sie einmal betitelte und schrieb: „She kehrs for us!“. Und das mit Erfolg: Jedenfalls konnte sie den Unternehmensvertrag zwischen dem Land Berlin und der Berliner Stadtreinigung (BSR) bis 2030 unter Dach und Fach bringen, die Reinigung in einem Forstgebiet und zwölf Parks erfolgreich übernehmen oder mit der Laub- und Gartentonne ein neues Produkt in der Müllabfuhr einführen. Insofern verwunderte es auch nicht, dass der BSR-Aufsichtsrat Anfang des Jahres in einer außerordentlichen Sitzung die Verlängerung ihres Vertrages als Vorstands-
vorsitzende beschloss.

Wer  aber  ist  die  Frau,  auf  die  über 5.300 Straßenfegerinnen und Straßenfeger sowie Müllmänner in der deutschen Hauptstadt hören?

Geboren und aufgewachsen ist Tanja Wielgoß in Kaufbeuren im Allgäu. Nach Abitur und sozialem Jahr in den USA studierte sie in Jena, London und Aix-en-Provence Politik-, Geschichts- und Wirtschaftswissenschaften. Einem Arbeitsaufenthalt am französischen Parlament folgte eine deutsch-französische Doktorarbeit. Ganze vier Jahre verbrachte sie in Frankreich, in dessen Süden für sie das Savoir-vivre „real“ ist und dessen Sprache sie „wunderschön“ findet.

„Eigentlich wollte ich ja in den diplomatischen Dienst“, gesteht die heute 44-Jährige, die davon träumte, in der Welt herumzureisen und Deutschland zu vertreten. „Mittlerweile bin ich froh, dass das nicht geklappt hat“, blickt sie ohne Reue zurück. Denn mit Familie sei ein Leben als Diplomat(in) nicht vereinbar. Dass das in der Wirtschaft besser geht, hat die Mutter zweier Kinder, die nun acht und sechs Jahre alt sind, eindrucksvoll bewiesen.

2001 kehrte Tanja Wielgoß nach Deutschland zurück, verlegte ihren Lebensmittelpunkt in ihre Lieblingsstadt Berlin und startete eine beachtliche Karriere. Zunächst arbeitete sie für die Unternehmensberatung Roland Berger im Bereich der öffentlichen Hand und im Transportsektor. Von 2005 an baute sie als Alleingeschäftsführerin den Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften (BDF) zu einem maßgeblichen Akteur in der deutschen Transportwirtschaft auf und aus. Und vor ihrem Wechsel zur BSR war sie als Gesellschafterin, Geschäftsführerin und Partnerin für die weltweit tätige Unternehmensberatung A.T. Kearney mit Schwerpunkt in der Transport-, Logistik- und Infrastrukturindustrie unterwegs. Daneben wirkte sie regelmäßig als Jurymitglied im Innovationsprogramm „Unternehmen Region“ für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit. Zudem ist sie Aufsichtsrätin bei der Lufthansa Cargo und der Österreichischen Bundesbahnen Infrastruktur AG.

Dabei hat man nicht den Eindruck, dass einem da eine gehetzte und gestresste Managerin gegenübersitzt. Vielmehr strahlt Tanja Wielgoß Lebensfreude pur und eine Entspanntheit aus, die man sich gerne in mehr Chefetagen wünscht. Zumal sie gleichzeitig eine Souveränität ausstrahlt, die nicht einmal im Ansatz Zweifel an ihrer Kompetenz und Sachkunde aufkommen lässt.

Über das neue Verpackungsgesetz redet die BSR-Chefin so, als wünschte sie, sie hätte es besser selbst schreiben können. Für sie ist es so wie verabschiedet ein Flop. „Recycling-Quoten, die sich nur am Input in eine Sortieranlage messen, sind nicht der richtige Weg. Damit wird den Menschen etwas vorgegaukelt.“ Grundsätzlich setzt sie auf Transparenz und Aufklärung, insbesondere bei Bioabfällen, durch deren Verwertung in der BSR-Biogasanlage jedes Jahr der Ausstoß von 9 000 Tonnen Kohlendioxid vermieden wird.

Oder in Anlehnung an die bekannte Netflix-Serie könnte man sagen: „Green ist the new Orange!“ Denn auch beim Thema „Grün“ ist Tanja Wielgoß voll im Thema und kann die einzelnen Parks, in denen die BSR neuerdings sauber macht, im Schlaf herunterbeten. Dabei weiß sie, dass die Bezirke das neue Engagement der Stadtreinigung durchaus auch mit gemischten Gefühlen betrachten. Doch da gibt sie gleich Entwarnung: „Wir wollen die Pflege nicht. Reinigen ist unser Kerngeschäft, womit wir die Bezirke entlasten wollen.“ Und so geht es munter weiter durch die Themen Stadtsauberkeit, Entsorgung und Recycling sowie Umwelt und Verantwortung.

„Die BSR ist gut aufgestellt“, fasst sie nach der Tour d‘Horizon kurz und bündig zusammen und richtet den Blick auf die vier BSR-Töchter, von denen die wenigsten Berliner wohl schon etwas gehört haben: BRAL Reststoff-Bearbeitungs GmbH, Berlin Recycling GmbH, GBAV Gesellschaft für Boden- und Abfallverwertung mbH sowie Fuhrpark Business Service GmbH. In den Gesellschaften liege viel Potenzial, das noch stärker freigesetzt werden könne. Sie beobachte mit großer Freude, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter regelrecht aufblühten.

Überhaupt sind es auch die innerbetrieblichen Themen, die Tanja Wielgoß umtreiben: Digitalisierung und kulturelle Transformation sind dabei mehr als nur Schlagworte. In diesem Kontext ist sie der festen Überzeugung: „Die Zukunft eines Unternehmens entscheidet sich, wie attraktiv es als Arbeitgeber ist.“

Da müssen Tanja Wielgoß und ihre Vorgängerin vieles richtig gemacht haben. Denn bei der Forsa-Umfrage nach dem beliebtesten Unternehmen hat die BSR offensichtlich ein Dauerabo und wird von den Berlinern regelmäßig auf Platz eins befördert. Vermutlich liegt das auch an der hohen Identifikation mit der Arbeit der BSR und dem Bewusstsein der Berliner für eine saubere Stadt. „Im Vergleich zu anderen Metropolen kann sich Berlin wirklich sehen lassen“, sagt die Frau, die es nicht zuletzt wegen ihrer vielen beruflichen Reisen wissen muss.

Aber nicht nur deswegen liebt die Allgäuerin, die immer noch einen leichten bayerischen Grundton in der Stimme hat, Berlin. „Die Stadt ist so dynamisch“, schwärmt sie, „und hier wird jeder so akzeptiert, wie er ist.“ Das passt recht gut zu ihr, strahlt sie doch selbst eine gehörige Portion Dynamik aus. Und ein Akzeptanzproblem dürfte sie mit ihrer offenen Art ohnehin nicht haben. Sieht man ihr doch schon an, dass sie Spaß an der Freud’ ebenso wie an ihrem Job hat. Bleibt nur noch festzuhalten, dass das höchste Lob eines Berliners und das eines Allgäuers mehr oder weniger identisch sind. Heißt es an der Spree: „Da kann man nicht meckern!“, sagt man im Allgäu: „It g‘schumpfe isch gnua g’lobet.“ (Nicht geschimpft ist genug gelobt.) Na denn, da kann sich Tanja Wielgoß ja hier wie zu Hause fühlen.

Detlef Untermann

 

70 - Frühjahr 2017